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Die unterirdische Sonne

Die unterirdische Sonne

Titel: Die unterirdische Sonne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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Treppe runter und unten standen seine Beine blöde ab. In verkehrte Richtungen. Die Mäuse erschreckten sich so sehr, dass sie aus Versehen in die falschen Löcher rannten und sich an den Wänden den Kopf anstießen. Das war hart.
    Drei Monate lag Namsi im Städtischen Krankenhaus rum und heulte. Das nervte ihn dermaßen, dass er sich öfter mal auf den Kopf schlug und erst aufhörte, wenn eine Krankenschwester oder einer dieser bärtigen Pfleger reinkam und seine Hände packte und so lange festhielt, bis er sich angeblich beruhigte.
    Er beruhigte sich nie, das könnt ihr mir glauben. Auch hatte er bei seinen Purzelbäumen in den Keller zwei Zähne verloren, die waren ihm sowieso erst vor Kurzem gewachsen, und jetzt brauchte er schon neue.
    Als er aber halbwegs wieder reden konnt und die Schwellungen in seinem Gesicht ihn innerlich nicht mehr so zusammenquetschten, fragte ihn der Oberarzt, was passiert war. Er war ein Oberoberarzt und wichtig, also antwortete Namsi wahrheitsgemäß: Wollt fliegen üben, das muss ich machen als Schmetterling, sonst roste ich ein, und das wär schlecht.
    Der Oberoberarzt glotzte wie ein Wildschwein und stellte dieselbe Frage noch mal. Und Namsi antwortete noch mal dasselbe. Am nächsten Tag standen plötzlich zwei Polizisten im Zimmer, eine Frau und ein Mann, hinter ihnen tauchte der wichtige Arzt auf. Und die Frau sagte, der Arzt habe Zweifel an der Version von Namsi.
    Namsi verstand Vision, das Wort kannte er nicht, er war erst fünf und ein Volldepp, also drehte er den Kopf weg und berührte mit den Fingerspitzen den Gips, in dem seine beiden Beine komplett drinsteckten.
    Die Polizistin wiederholte ihre Bemerkung, und jetzt verstand Namsi das Wort richtig, aber auch Version hatte er noch nie gehört. Weil die Polizisten extrem aufdringlich waren, drehte Namsi sich zu ihnen um und erklärte, er sei ein elektrischer Schmetterling und müsse fliegen üben, sonst fällt er mal aus der Luft und womöglich jemandem auf den Kopf, was nicht lustig wär. Da gaben die Polizisten auf und gingen weg. Nur der Oberoberarzt blieb noch eine Zeit lang an der Tür stehen und machte ein Froschgesicht. Namsi grinste, bis seine Schwellungen sich meldeten und er den Mund besser geschlossen hielt.
    Den Mund öffnete er überhaupt extrem ungern. Am liebsten trank er Wasser und Limo mit einem Strohhalm. Zum Essen hatte er keine Lust. Obwohl er einen verdammten Hunger hatte. Scheiß auf Datteln, ein Hendl wär gut gewesen mit Pommes dazu. Ohne Chance. Brei gabs und üble Soße und Pudding und Zeug.
    Da lag er und heulte und hasste sich dafür. Dann kam der Gips vom rechten Bein runter, dann der vom linken, und als Namsi vom Bett aufstand, kippte er um und fiel hin. Der Oberoberarzt hatte zu langsam reagiert, die Krankenschwester gar nicht, und Frau Doktor Gott war mit Zupfen an ihrem Mantel beschäftigt gewesen. Kein Riesenproblem.
    Einen Monat später schenkte ihm der Bruder von Doktor Gott eine Krücke, die angeblich was wert war. Das erschien dem elektrischen Schmetterling voll logisch, denn Frau Doktor Gott würd ihn nicht mit einem Abschaum von Krücke durch die Gegend laufen lassen.
    Für ihn und Doktor Gott änderte sich nichts. Wenn er Unfug trieb, setzte Doktor Gott ihn auf die Stange im Finstern, und das war’s auch schon. Wie die Finsternis aussah, wusst er längst, und weil er angefangen hatte, jedes einzelne Gesicht, das ihm in der Welt begegnete, zu verabscheuen, malte er sich da unten allein immer neue Gesichter aus und freute sich schon drauf, sie in echt zu treffen.
    Beispiel: Der Mann, der damals als Notarzt verkleidet ins Haus kam und Doktor Gott die Erklärung abnahm, Namsi hätt vor lauter Schnelligkeit die Orientierung verloren und wär gestolpert und die Treppe runtergeplumpst, saß eines schönen Nachmittags im Mai auf der Terrasse eines Cafés am Rathausplatz.
    Inzwischen war Namsi schon in der ersten Klasse und kam jeden Tag an dem Café vorüber. Glückssache.
    Welche Not ein Notarzt haben kann, liebe Kinder, das glaubt ihr nicht.
    Der Notarzt auf der Caféterrasse hatte eine solche Not, nach Luft zu schnappen, dass es extrem schlau von der Natur eingefädelt war, dass der Mann kein Fisch geworden war. Er röchelte und spuckte Blut und riss einen Haufen Tische um und belästigte die Leute und hatte keine Ahnung, was er mit sich selber anstellen sollte.
    Namsi schaute von der Tür aus zu. Was der Mann für ein Glück hat, dachte er, dass von der Terrasse keine Treppe in einen

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