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Die unterirdische Sonne

Die unterirdische Sonne

Titel: Die unterirdische Sonne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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im Wald. Sie glotzten ihn an aus dem Unterholz und überlegten, ob sie ihn angreifen und fressen sollten. Machen die locker. Am liebsten: Leichen. An Leichenschmäusen können die Wildschweine nie genug kriegen, das ist von der Natur so vorgesehen, wie Mäuse und Dunkelheit. Gibt’s eine Natur ohne Mäuse und Dunkelheit?
    Im Leben nicht. Also hatte alles seine Ordnung. Und Doktor Gott sah, dass es gut war, und ruhte sich am Sonntag aus und legte die Hände in den Schoß und dachte an weiter nichts. Wenn Wildschweine einen Schmetterling fraßen, zuckte er mit der Schulter, und Frau Doktor Gott brachte ihm ein Glas grünen Tee. Der Tee musste grün sein wie die Wiese vor dem Haus, in dem er hauste, wie die Kohlköpfe auf den Feldern, an denen er entlangspazierte. Im Wald war er selten. Dahin flog Namsi allein.
    Manchmal benutzte er auch seine Beine. Er war ein elektrischer Schmetterling, der sprechen und gehen konnte, und als er größer wurde, sogar Fußball spielen.
    Hört, ihr Kinder, was ich euch verkünde: Der elektrische Namsi lief auf den Fußballplatz, schoss ein Tor und jubelte in den Himmel rauf.
    Vom Himmel droben jubelte aber niemand zurück. Da ging er in den Wald und stellte sich auf eine Lichtung. Beweis: Er steht da immer noch. Hinschauen, Kinder!
    Und wenn die Wildsäue aus dem Unterholz kamen, rührte er sich nicht von der Stelle. Flatterte vielleicht mit den Flügeln, das hatte er drauf. Die Schweine grunzten und schrunzten und dachten angestrengt drüber nach, was zu tun wär. So oft kam das nicht vor, dass sie einen elektrischen Schmetterling zu fressen kriegten, eigentlich nie. Würd ihnen nicht schmecken, dachten die, und dann trollten sie sich nach einer Weile in ihren lehmigen Dreck zurück und konnten sich auch beim nächsten Mal nicht entscheiden, den Schmetterling abzuschaffen. Auch nicht beim übernächsten Mal, also nie. Umsonst, der Weg von Namsi.
    Daheim derweil: großes Geschrei. Wo ist er hingeflogen? Warum kommt er nicht? Wieso hat er sich nicht abgemeldet? Besonders Frau Doktor Gott litt sehr unter solchen Vorkommnissen. Beweis: Sie brüllte Namsi an und sperrte ihn in seinen Käfig. Der war sauber und ordentlich, ein so märchenhaft von allem Müll befreiter Käfig, wie ihn ihr euch nicht vorstellen könnt, liebe Kinder. Ein Meisterwerk. Einzig und allein erschaffen von Namsi und Frau Doktor Gott.
    Das war ja das Wundervolle: Nachdem Doktor Gott den elektrischen Namsi erschaffen hatte, erschuf der elektrische Namsi seine Existenz noch einmal selber. Baute sich einen Käfig, putzte ihn, auf Anweisung von Frau Doktor Gott, das ist wahr, aber bald hatte er den Dreh raus und verbrachte genau neun Zehntel seiner Freiheit damit, den Käfig und das umliegende Gebiet sauber zu halten, und zwar extrem sauber. Beweis: Fotos in einem Lederalbum und Erinnerungen im Kopf von Namsi.
    Im Innern von Namsis Kopf spielten sich irre Dinge ab, das könnt ihr euch nicht vorstellen, liebe Kinder. Da flog er höher als die Wolken und Flugzeuge, schlug Purzelbäume über den Bäumen. Er sauste von Tag zu Tag, ohne Nacht dazwischen, denn es war immer hell.
    An so was glaubte er tatsächlich. Er war der vollkommene Depp, alle wussten es, bloß er nicht. Er hockte auf seiner Stange im Dunkeln und wunderte sich. Über das Leben, über sein Leben, über alles Mögliche. Keine große Sache, aber schon auch anstrengend und böse. In der Welt ist das keine Sensation, dass ein elektrischer Schmetterling im Dunkeln hockt und sich fragt, wieso er Flügel hat, die er nicht benutzen darf.
    Durfte er nicht. Beweis: seine Beine. Die durfte er benutzen, allerdings nicht zum Fußballspielen, jedenfalls nicht lang. Zwei, drei Jahre schon. Aber dann wurd Frau Doktor Gott das Spiel zu blöd. Recht so. Als Hausfrau hatte sie die Arschkarte gezogen, ist das nicht lustig? Frau Doktor Gott im Kittel mit der ganzen Wäsche auf dem Buckel. Schlimm war das und zum Weinen. Sie weinte aber nicht, sie hatte doch Namsi. Der weinte für sie mit. Das war gar nicht traurig, liebe Kinder, er hatte doch Übung darin.
    Und eines Tages begegnete Namsi einem beschwingten Wesen im Schnee. Stellt euch vor, es schneite und Namsi verbrachte den ganzen Abend in einem Haus bei der Kirche. Da war Musik, und seine Freunde spielten Tischtennis, und Mädchen waren da und redeten die ganze Zeit und aus ihren Augen flogen unglaubliche Blicke. Namsi, dessen Flügel zusammengebunden waren, damit er nicht wegfliegen konnte, stand in der Ecke wie ein Haufen

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