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Die Unvollendete: Roman (German Edition)

Die Unvollendete: Roman (German Edition)

Titel: Die Unvollendete: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Atkinson
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dieselbe Person wie zuvor«, und er sagte: »Bei mir bin ich mir da nicht sicher.« Und sie dachte, o Gott, er war Jungfrau, aber er lachte und sagte, nein, nein, das sei es nicht – er war keine Jungfrau –, er sei nur so sehr in sie verliebt, »und jetzt fühle ich mich, ich weiß nicht … geläutert.«
    »Geläutert?«, sagte Millie. »Klingt wie sentimentaler Kokolores. Er hat dich auf ein Podest gestellt, und Gott steh ihm bei, wenn er merkt, dass du Füße aus Lehm hast.«
    »Danke.«
    »Ist das ein Bildbruch oder ein ziemlich schlaues Bild?« Millie hatte natürlich immer –
    »Miss Todd?«
    »Entschuldigung. Ich war mit den Gedanken ganz woanders.«
    »Wir müssen zurück in unseren Sektor«, sagte Miss Woolf. »Merkwürdigerweise fühlt man sich hier oben ziemlich sicher.«
    »Ich bin sicher, dass wir hier nicht sicher sind«, sagte Ursula. Sie hatte recht, denn ein paar Tage später wurde das Shell-Mex House schwer von einer Bombe beschädigt.

    Sie hielt mit Miss Woolf in deren Wohnung Wache. Sie saßen an ihrem großen Eckfenster, tranken Tee und aßen Kekse und hätten einfach zwei Frauen sein können, die den Abend gemeinsam verbrachten, wenn nicht das laute Donnern des Sperrfeuers gewesen wäre.
    Ursula kannte jetzt Miss Woolfs Vornamen, Dorcas (den sie nie gemocht hatte), und wusste, dass ihr Verlobter (Richard) im Ersten Weltkrieg gefallen war. »Ich sage noch immer der Große Krieg«, sagte sie, »doch dieser ist noch größer. Dieses Mal haben wir allerdings das Recht auf unserer Seite, hoffentlich.« Miss Woolf glaubte an den Krieg, doch seit dem Beginn der Bombenangriffe »bröckelte« ihr Glaube an Gott. »Trotzdem müssen wir an allem festhalten, was gut und wahr ist. Aber es scheint alles so vom Zufall bestimmt. Da fragt man sich schon, was es mit dem göttlichen Plan auf sich hat.«
    »Eher ein heilloses Durcheinander als ein Plan«, sagte Ursula.
    »Und die armen Deutschen, ich bezweifle, dass viele von ihnen für den Krieg sind – so etwas darf man natürlich nicht sagen, wenn jemand wie Mr. Bullock in Hörweite ist. Aber wenn wir den Großen Krieg verloren hätten und mit so hohen Schulden belastet worden wären, gerade als die Weltwirtschaft zusammenbrach, dann wären wir vielleicht auch ein Pulverfass, das auf den Funken wartet – einen Mosley oder eine ähnlich schreckliche Person. Noch Tee, meine Liebe?«
    »Ich weiß«, sagte Ursula, »aber sie wollen uns umbringen. « Und wie um es zu beweisen, hörten sie das Zischen und Pfeifen, das eine nahe Bombe ankündigte, und sie stürzten mit erstaunlicher Geschwindigkeit hinter das Sofa. Es war unwahrscheinlich, dass es sie gerettet hätte, und doch hatten sie zwei Nächte zuvor eine Frau nahezu unverletzt unter einer umgedrehten Couch in einem Haus herausgezogen, das ansonsten fast ganz zerstört war.
    Die Bombe ließ die beiden Staffordshire-Sahnekännchen in Form von Kühen auf Miss Woolfs Anrichte erzittern, doch sie waren sich einig, dass sie außerhalb ihres Sektors eingeschlagen hatte. Sie waren mittlerweile gut darauf eingestellt, Bombeneinschläge zu lokalisieren.
    Sie waren zudem sehr niedergeschlagen, weil Mr. Palmer, der Bankmanager, getötet worden war, als eine Zeitzünderbombe bei einem Einsatz detonierte. Er war durch die Luft geschleudert worden, und sie fanden ihn halb begraben unter einem eisernen Bettgestell. Er hatte seine Brille verloren, schien jedoch nicht wirklich schwer verletzt. »Können Sie seinen Puls nehmen?«, fragte Miss Woolf, und Ursula wunderte sich, dass sie es nicht selbst tat, da sie doch viel besser darin war, aber dann sah sie, dass Miss Woolf ganz durcheinander war. »Es ist anders, wenn man jemanden kennt«, sagte sie und strich zärtlich über Mr. Palmers Stirn. »Wo ist nur seine Brille? Er sieht ohne Brille ganz anders aus.«
    Ursula konnte keinen Puls finden. »Sollen wir ihn rausholen?«, fragte sie. Sie fasste ihn unter den Schultern, und Miss Woolf nahm ihn bei den Knöcheln, und Mr. Palmers Körper brach entzwei wie ein Knallbonbon.

    »Ich kann heißes Wasser nachgießen«, sagte Miss Woolf. Um sie aufzuheitern, erzählte ihr Ursula Geschichten von Jimmy und Teddy, als sie kleine Jungen gewesen waren. Maurice ersparte sie ihr. Miss Woolf mochte Kinder sehr gern, sie bedauerte nur, keine eigenen zu haben. »Wenn Richard am Leben geblieben wäre, dann vielleicht … aber man soll nicht zurückblicken, sondern nach vorn. Was vorbei ist, ist vorbei, für immer. Wie sagt noch

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