Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Unvollendete: Roman (German Edition)

Die Unvollendete: Roman (German Edition)

Titel: Die Unvollendete: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Atkinson
Vom Netzwerk:
kamen, um nach Hause zu wanken, »das war mal was anderes.«
    »Ein seltsamer endroit «, sagte Ursula und lachte. Sie war ziemlich betrunken. Es war so ein Izzie-Wort und klang bizarr von den Lippen dieser Renee.
    »Versprich mir, dass du nicht sterben wirst«, sagte Ursula zu Jimmy, als sie sich blind nach Hause tasteten.
    »Ich werde mein Bestes tun«, sagte Jimmy.

Oktober 1940
    » D er Mensch, vom Weibe geboren, lebt kurze Zeit und ist voll Unruhe, geht auf wie eine Blume und fällt ab, flieht wie ein Schatten und bleibt nicht.«
    Es nieselte leicht. Ursula hätte gern ihr Taschentuch herausgeholt und damit über den nassen Sargdeckel gewischt. Auf der anderen Seite des offenen Grabes standen Pamela und Bridget wie Säulen und hielten Sylvie, die von Trauer so verzehrt wurde, dass sie sich kaum aufrecht halten konnte. Ursula spürte, wie sich ihr Herz mit jedem Schluchzer ihrer Mutter verhärtete und zusammenzog. In den letzten Monaten war Sylvie unnötig gemein zu Hugh gewesen, und ihr großer Kummer wirkte aufgesetzt. »Du bist zu hart«, sagte Pamela. »Niemand weiß, was in einer Ehe passiert, jedes Paar ist anders.«
    Jimmy, der in der Woche zuvor in Nordafrika stationiert worden war, hatte keinen Urlaub erhalten, aber Teddy war in letzter Minute gekommen. Er sah unglaublich schick aus in seiner Uniform und war aus Kanada mit seinen Abzeichen, seinen »Flügeln« zurückgekehrt (»Wie ein Engel«, sagte Bridget). Jetzt war er in Lincolnshire stationiert. Er und Nancy klammerten sich bei der Trauerfeier aneinander. Nancy machte nur Andeutungen zu ihrer Arbeit (»Büroarbeit, wirklich«), und Ursula meinte die Schummeleien der Geheimhaltungspflicht herauszuhören.
    Die Kirche war bis auf den letzten Platz gefüllt, das ganze Dorf hatte sich zu Hughs Beerdigung eingefunden, und trotzdem hatte die Trauerfeier etwas Seltsames, als hätte der Ehrengast nicht kommen können. So war es natürlich auch. Hugh hätte kein Aufheben gewollt. Irgendwann hatte er zu ihr gesagt: »Ach, ihr könnt mich mit der Mülltonne rausstellen, das ist mir egal.«
    Der Gottesdienst entsprach den Erwartungen – Erinnerungen und Allgemeinplätze –, gewürzt mit einer starken Dosis anglikanischer Doktrin. Dennoch war Ursula überrascht, wie gut der Vikar Hugh zu kennen schien. Major Shawcross las auf berührende Weise aus den Seligpreisungen, und Nancy trug eins von »Mr. Todds Lieblingsgedichten« vor. Die weiblichen Familienmitglieder waren überrascht, da sie nicht gewusst hatten, dass Hugh eine poetische Ader hatte. Nancys Stimme klang schön (besser als Millies Stimme, die zu theatralisch war). »Robert Louis Stevenson«, sagte Nancy. »Passend zu diesen schwierigen Zeiten:
    Stürme haben euch verschlagen,
    Mühsal hat euch ausgezehrt.
    Kommt zu mir, ihr Gramgebeugten,
    ladet ab, was euch beschwert.
    Quält euch nicht mehr, schämt euch nicht mehr,
    weint nicht mehr und fasset Mut!
    Euer Heiland, hört nur, ruft euch.
    Hört! Der Tag naht mit Gesang.

    Hier vergießt ihr bittre Tränen,
    sauren Schweiß und teures Blut.
    Dort jedoch seid ihr in Freiheit. Euer Vater ist euch gut.
    Haltet durch, ihr armen Seelen.
    Weint nicht mehr und fasset Mut!
    Euer Retter, seht nur, führt euch.
    Seht! Die Nacht ist nicht mehr lang.

    (»Unsinn«, flüsterte Pamela, »aber seltsam tröstlicher Unsinn.«)

    Am Grab murmelte Izzie: »Ich komme mir vor, als würde ich darauf warten, dass etwas Schreckliches passiert, und dann merke ich, dass es schon passiert ist.«
    Izzie war ein paar Tage vor Hughs Tod aus Kalifornien zurückgekehrt. Sie hatte bewundernswerterweise einen anstrengenden Pan-Am-Flug von New York nach Lissabon genommen und war von dort mit der BOAC nach Bristol weitergeflogen. »Ich habe aus dem Fenster zwei deutsche Kampfflugzeuge gesehen«, sagte sie. »Ich schwöre, ich war überzeugt, dass sie uns angreifen werden.«
    Sie hatte beschlossen, dass es falsch war, als Engländerin den Krieg in Orangenhainen auszusitzen. Der luxuriöse Lebensstil entspräche ihr nicht (Ursula war der Ansicht, dass er ihr perfekt entsprach). Sie hatte gehofft, dass sie wie ihr Mann, der berühmte Bühnenautor, gebeten würde, Drehbücher für die Filmindustrie zu schreiben, hatte jedoch nur einen Auftrag für einen »albernen« Kostümfilm erhalten, der allerdings noch in Papierform aufgegeben wurde.
    Ursula hatte den Eindruck, dass Izzies Drehbuch den Anforderungen nicht genügt hatte (»es war zu geistreich«). Sie schrieb weiter

Weitere Kostenlose Bücher