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Die Unvollendete: Roman (German Edition)

Die Unvollendete: Roman (German Edition)

Titel: Die Unvollendete: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Atkinson
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und nicht während eines Luftangriffs auf einem Haus an der Strand.
    »Also, bei herrlich bin ich mir nicht sicher«, sagte Miss Woolf.
    »Neulich war Churchill hier oben«, sagte Mr. Simms. »Es ist so ein guter Aussichtspunkt. Er war fasziniert.«
    Später, als Ursula und Miss Woolf allein waren, sagte Miss Woolf: »Wissen Sie, ich dachte, dass Mr. Simms ein einfacher Angestellter des Ministeriums ist, er ist so ein sanftmütiger Mensch, aber er muss ziemlich weit oben angesiedelt sein, wenn er mit Churchill auf dem Dach war.« (Ein Brandbeobachter auf dem Dach hatte »Guten Abend, Mr. Simms« mit dem Respekt gesagt, den Maurice entgegenzubringen sich die Leute verpflichtet fühlten, wiewohl er im Fall von Mr. Simms weniger widerwillig bezeugt wurde.) »Er ist überhaupt nicht anmaßend«, sagte Miss Woolf. »Das gefällt mir an einem Mann.« Mir dagegen gefällt anmaßend, dachte Ursula.

    »Es ist wirklich ein Schauspiel«, sagte Miss Woolf.
    »Ja, nicht wahr?«, sagte Mr. Simms begeistert. Ursula nahm an, dass ihnen allen schmerzhaft bewusst war, wie seltsam es war, dass sie »das Schauspiel« bewunderten, von dem sie wussten, was es auf dem Boden bedeutete.
    »Es ist, als würden die Götter eine besonders laute Party geben«, sagte Mr. Simms.
    »Zu der ich lieber nicht eingeladen wäre«, sagte Miss Woolf.
    Ein vertrautes, furchterregendes Zischen ließ sie alle Deckung suchen, doch die Bomben schlugen ein Stück weit entfernt ein, und obwohl sie die Explosionen hörten, päng-päng-päng-päng, konnten sie nicht sehen, was getroffen worden war. Ursula fand den Gedanken höchst merkwürdig, dass über ihnen deutsche Bomber von Männern geflogen wurden, die im Prinzip wie Teddy waren. Sie waren nicht böse, sie taten einfach nur, um was ihr Land sie bat. Es war der Krieg selbst, der böse war, nicht die Menschen. Was allerdings ihrer Ansicht nach nicht für Hitler galt. »O ja«, sagte Miss Woolf, »ich halte den Mann für vollkommen wahnsinnig.«
    In diesem Augenblick schwebte zu ihrer Überraschung ein Korb mit Brandsätzen herunter und ließ seine Ladung auf das Dach des Ministeriums krachen. Die Brandsätze detonierten und sprühten Funken, und die beiden Brandbeobachter liefen mit Kübelpumpen zu ihnen. Miss Woolf packte einen Eimer mit Sand und war schneller dort als sie. (»Flott für eine Oma«, lautete Mr. Bullocks Einschätzung von Miss Woolf unter Druck.)

    »Was, wenn das der Welt letzte Nacht wäre?«, sagte eine vertraute Stimme.
    »Ah, Mr. Durkin, Sie haben es doch noch geschafft«, sagte Mr. Simms liebenswürdig. »Der Mann an der Tür hat Ihnen keine Schwierigkeiten gemacht?«
    »Nein, nein, er wusste, dass ich erwartet werde«, sagte Mr. Durkin, erfüllt von seiner eigenen Wichtigkeit.
    »Ist noch irgendjemand im Posten?«, murmelte Miss Woolf vor sich hin.
    Ursula fühlte sich plötzlich genötigt, Mr. Durkin zu korrigieren. » Was, wenn das jetzt der Welt letzte Nacht wäre «, sagte sie. »Das Wort ›jetzt‹ verändert alles, finden Sie nicht? Dadurch scheint es, als wäre man mittendrin, was wir ja sind, und würde nicht nur über ein theoretisches Konzept nachsinnen. Das ist es, das Ende ist jetzt.«
    »Du meine Güte, so viel Theater um ein kleines Wort«, sagte Mr. Durkin und klang beleidigt. »Wie auch immer, ich nehme es zurück.« Ursula dachte, dass ein Wort eine große Bedeutung haben konnte. Wenn ein Dichter penibel mit Worten umgegangen war, dann Donne. Donne, der einst selbst Dekan von St. Paul’s gewesen war, hatte man an einen schmählichen Platz im Keller der Kathedrale umgebettet. Als Toter hatte er das große Feuer von London überlebt, würde er auch diesen Brand überstehen? Wellingtons Grab war zu groß, um es zu verlegen, und war einfach eingemauert worden. Ralph hatte eine Tour mit ihr gemacht – er gehörte dort zur Nachtwache. Er wusste alles, was über die Kathedrale zu wissen war. Nicht ganz der Ikonoklast, für den Pamela ihn gehalten hatte.
    Als sie in den hellen Nachmittag hinausgingen, hatte er gesagt: »Sollen wir irgendwo Tee trinken?«, und Ursula antwortete: »Nein, lass uns zu dir nach Holborn fahren und miteinander schlafen.« Das hatten sie getan, und sie hatte sich mies gefühlt, weil sie ständig an Crighton denken musste, während Ralph seinen Körper höflich mit ihrem in Einklang brachte. Danach schien er verlegen, als wüsste er nicht länger, wie er sich in ihrer Gegenwart verhalten sollte. Sie sagte: »Ich bin noch genau

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