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Die Unvollendete: Roman (German Edition)

Die Unvollendete: Roman (German Edition)

Titel: Die Unvollendete: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Atkinson
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Dr. Kellet nachdenklich. Er wandte sich Ursula zu und sprach sie direkt an: »Hast du von Reinkarnation gehört?«
    »O ja, natürlich«, sagte Ursula begeistert.
    »Ich bin sicher, dass sie nicht davon gehört hat«, sagte Sylvie. »Ist das eine katholische Doktrin? Was ist das? «, fragte sie, abgelenkt von der fremdländischen Teeurne.
    »Das ist ein Samowar, aus Russland«, sagte Dr. Kellet. »Ich bin kein Russe, ganz und gar nicht, ich bin aus Maidstone und war vor der Revolution in St. Petersburg.« Zu Ursula sagte er: »Würdest du mir einen Gefallen tun und etwas für mich zeichnen?«, und schob ihr Papier und Bleistift hin. »Möchten Sie Tee?«, fragte er Sylvie, die noch immer den Samowar anstarrte. Sie lehnte ab, da sie jedem Gebräu misstraute, das nicht aus einer Porzellankanne stammte.
    Ursula stellte ihre Zeichnung fertig und reichte sie Dr. Kellet.
    »Was ist das?«, fragte Sylvie und schaute Ursula über die Schulter. »Eine Art Ring oder Reif? Eine Krone?«
    »Nein«, sagte Dr. Kellet, »es ist eine Schlange, die sich in den Schwanz beißt.« Er nickte zufrieden und sagte zu Sylvie: »Es ist ein Symbol, das die Zirkularität des Universums versinnbildlicht. Die Zeit ist ein Konstrukt, in Wahrheit ist alles im Fluss, es gibt keine Vergangenheit, keine Zukunft, nur das Jetzt.«
    »Wie gnomisch«, sagte Sylvie streng.
    Dr. Kellet legte die Hände aneinander und stützte das Kinn darauf. »Weißt du«, sagte er zu Ursula, »ich glaube, wir werden gut miteinander auskommen. Möchtest du ein Keks?«

    Da war etwas, was sie wunderte. Das Foto von Guy, gefallen bei Arras, in seiner weißen Kricketkleidung, stand nicht auf dem Tisch. Ohne es wirklich zu wollen – es war eine Frage, die Anlass zu so vielen anderen Fragen gab –, sagte sie zu Dr. Kellet: »Wo ist das Foto von Guy?«, und Dr. Kellet erwiderte: »Wer ist Guy?«
    Wie es schien, war nicht einmal auf die Instabilität der Zeit Verlass.
    *
    »Es ist nur ein Austin«, sagte Izzie. »Ein Tourenwagen – allerdings mit vier Türen –, aber bei weitem nicht so teuer wie ein Bentley, du meine Güte, eindeutig ein Auto für das gemeine Volk, verglichen mit deinem Luxusgefährt, Hugh.«
    »Auf Pump zweifellos«, sagte Hugh.
    »Ganz und gar nicht, voll bezahlt, in bar. Ich habe einen Verleger, ich habe Geld, Hugh. Du brauchst dir um mich keine Sorgen mehr zu machen.«
    Während alle (außer Hugh und Sylvie) den kirschroten Wagen bewunderten, sagte Millie: »Ich muss gehen, ich muss heute Abend zu einer Tanzvorführung. Vielen Dank für die Einladung, Mrs. Todd.«
    »Ich bring dich nach Hause«, sagte Ursula.
    Auf dem Rückweg mied sie die vielbegangene Abkürzung am Ende des Gartens, nahm den langen Weg und wich Izzie in ihrem davonfahrenden Wagen aus. Izzie winkte ihr zum Abschied achtlos zu.
    »Wer war das?«, fragte Benjamin Cole und schlitterte mit seinem Fahrrad in die Hecke, um nicht vom Austin überfahren zu werden. Ihr Herz stolperte, setzte einen Schlag aus und flatterte bei seinem Anblick. Das Objekt ihrer Begierde! Der Grund, warum sie sich für den langen Weg entschieden hatte, war die unwahrscheinliche Chance, »zufällig« mit Benjamin Cole zusammenzutreffen. Und da war er! Was für ein Glück.

    »Sie haben meinen Ball verloren«, sagte Teddy untröstlich, als sie ins Esszimmer zurückkehrte.
    »Ich weiß«, sagte Ursula. »Wir suchen ihn später.«
    »Du bist ja ganz aufgeregt und rot im Gesicht«, sagte er. »Ist was passiert?«
    Ist was passiert?, fragte sie sich. Ist was passiert? Nur dass mich der bestaussehende Junge auf der ganzen Welt geküsst hat und noch dazu an meinem sechzehnten Geburtstag. Er hatte sein Fahrrad geschoben und sie nach Hause begleitet, und irgendwann hatten sich ihre Hände berührt, sie waren errötet (es war Poesie), und er hatte gesagt: »Ich mag dich, Ursula«, und dann hatte er sein Rad an die Mauer gelehnt und sie vor dem Gartentor (wo alle Welt sie sehen konnte) an sich gezogen. Und dann der Kuss! Süß und lang und viel schöner, als sie erwartet hatte, obwohl sie danach – nun ja … aufgeregt war. Benjamin auch, und sie traten einen Schritt auseinander, ein bisschen schockiert.
    »Mann«, sagte er. »Ich hab noch nie ein Mädchen geküsst, ich hatte ja keine Ahnung, dass es so … aufregend sein kann.« Er schüttelte den Kopf wie ein Hund, als wäre er über seinen Mangel an Worten erstaunt.
    Das, dachte Ursula, bliebe der beste Augenblick ihres Lebens, gleichgültig, was noch

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