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Die Unvorhersehbarkeit der Liebe

Die Unvorhersehbarkeit der Liebe

Titel: Die Unvorhersehbarkeit der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Goliarda Sapienza
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Adelina ist eine große Signora geworden! Wenn du machst, was ich dir sage, nehme ich dich mit zu ihr und zeige dir nicht nur deine Tante, die eine Signora geworden ist, sondern auch Sachen, die du dir nicht einmal vorstellen kannst, wunderbare Sachen. Willst du? Willst du dein Papilein glücklich machen? Wenn du ihn glücklich machst, dann macht er dich danach auch glücklich.«

4
    Und er schien glücklich zu sein, wie er so ganz nackt neben mir lag. Ich hatte noch nie einen nackten Mann gesehen. Ohne die blaue Jacke waren seine Schultern weiß wie die Felsen am Fluß zur Zeit der Brombeerernte, wenn die Sonne tage- und wochenlang wie festgenagelt hoch am Himmel stand. Öffnete ich die Augen, stand sie da. Schloß ich sie wieder, stand die Sonne immer noch unbeweglich hinterm Fenster. Belauerte sie mich? Ich sollte schlafen. Auch wenn ich die Augen geschlossen hielt, durchstachen die gleißenden Sonnenschwerter meine Lider, und um schlafen zu können, mußte ich mich ganz zusammenkauern, mich vor ihr verstecken, die mich belauerte.
    »Was machst du da? Versuchst du dich zu verstecken, daß du dich so zusammenkauerst? Hast du etwa Angst vor deinem Papachen?«
    Woran hatte er das gemerkt? So nackt und weiß machte er mir Angst, aber das durfte ich ihm nicht zeigen. Ich mußte so stark sein wie er. Wenn er merkt, daß ich Angst habe, denkt er, ich bin wie die Mama, und nimmt mich nicht mit sich fort.
    »Ich hab keine Angst. Die beiden Heulsusen in der Kammer da machen mich ganz verrückt. Wenn du wirklich mein Vater bist und mir gleichst, dann bring sie mit einem Faustschlag zum Schweigen.«
    Der Fels neben mir bewegte sich jetzt langsam. Er glühte, und der leichte blonde Flaum erstreckte sich wie ein Roggenfeld von den Handgelenken bis zu den Schultern. Der Roggen fing Feuer. Wann war das gewesen? Ich hatte mit der Mama Brombeeren gesammelt, und Tina saß lachend unter dem Feigenbaum, als ein Stück vondieser unbeweglichen Sonne vom Himmel herabgefallen war und begonnen hatte, wie eine Feuerschlange um uns herumzuzüngeln und alles zu verbrennen. Der blonde Flaum, die Mohnblumen, die Wäsche, die die Mama zum Trocknen aufgehängt hatte, und Tinas Röcke, alles brannte, und der Rauch von diesem verbrannten Flaum erstickte auch mich.
    »Wie soll ich das denn machen, Töchterlein, wie soll ich diese Hühner zum Schweigen bringen, wenn du mich so streichelst? Du bist eine Knospe, eine richtige Rosenknospe.«
    Der blonde Roggen brannte, und die Rauchschlange schnürte ihr die Kehle zu, sie mußte fliehen … Sie mußte fliehen, auf den Feigenbaum klettern und schreien wie damals … Tuzzu würde ihre Schreie hören, würde kommen und sie in den Arm nehmen.
    »Wie war das, als du mich aus dem Feuer gerettet hast, Tuzzu?«
    »Unter dem einen Arm hatte ich dich und unter dem anderen die arme Tina, die so versengt war wie ein Holzstück, aus dem man Kohle macht.«
    »Und warum hast du sie nicht verbrennen lassen? Du hättest doch nur mich retten sollen.«
    »Hört euch dieses verdammte Mädchen an, diese Picciridda hat kein Herz! Wenn du das noch mal sagst, dann lasse ich dich verbrennen, so wahr mir Gott helfe, auch wenn du weiß und rund wie ein Täubchen bist.«
    Sie mußte fliehen, aber der Fels hatte sich langsam auf sie gewälzt, preßte sie auf die Bretter des großen Bettes, und das Feuer breitete sich weiter aus. Tina schrie, aber diese Schreie bereiteten ihr keinerlei Vergnügen mehr. Der Mann hier nahm sie nicht unter den Arm oder streichelte sie wie Tuzzu, sondern zog an ihren Beinen undtat in das Loch, dorthinein, wo man Pipi macht, etwas Hartes, das sie zerschnitt. Er mußte das Küchenmesser genommen haben und wollte sie ausweiden, so wie die Mama zu Ostern mit Tuzzus Hilfe das Lamm zerteilte. Die Schneide senkte sich zwischen die zitternden Schenkel des Lammes – die große Hand versank im Blut, um zu teilen, zu trennen –, und sie würde zerstückelt auf den Brettern des Bettes liegenbleiben.
    Man konnte nichts sehen. War die Sonne untergegangen? Oder war sie selbst schon tot, in Stücke geschnitten wie das Lamm? Der Schmerz von dem Messer war immer noch da und breitete sich über den Nabel in den Bauch aus, hinauf in die Brust, die zersprang. Doch die Arme ließen sich noch bewegen. Mit den Fingern tastete ich nach meinem Hals, er saß fest zwischen den Schultern. Die Brust war heil geblieben, und auch der Bauch. Nur unter dem Bauch brannte das zerschnittene Fleisch, und etwas Zähes, Schmieriges, eine

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