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Die Unvorhersehbarkeit der Liebe

Die Unvorhersehbarkeit der Liebe

Titel: Die Unvorhersehbarkeit der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Goliarda Sapienza
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seltsame Flüssigkeit lief aus ihr heraus. Das ist kein Pipi, das ist Blut. Sie brauchte gar nicht nachzuschauen: Das kannte sie seit jeher.
    Es war besser, mit geschlossenen Augen stillzuhalten und zu schlafen, aber die Sonne spaltet mir den Kopf, und ich muß die Augen öffnen: Diese Helligkeit kommt nicht von der Sonne, sondern von der Petroleumlampe, die die Mama vorhin angezündet hat, um zu arbeiten, vor ganz langer Zeit, als dieser nackte Mann, der jetzt neben ihr schlief, noch nicht da war und mit ihm das Blut, das weh tat. Auch die Mama faßte sich an den Bauch und weinte, wenn ihr das Blut kam, und dann häuften sich in der Waschschüssel die rotgefleckten Lappen.
    Der Schmerz war jetzt weg, und ihr Vater wirkte glücklich im Schlaf. Bald würde er aufwachen und sicherall das noch einmal tun wollen, was ihn so glücklich gemacht hatte. Die Mama sagte immer: »Es ist ein Unglück, als Frau geboren zu sein, wenn das Blut kommt, ist es mit der Gesundheit und dem Frieden vorbei! Die suchen doch alle nur ihr Vergnügen, schinden dich und können nie genug bekommen …«
    Vorher war ich ein Kind, aber jetzt bin ich eine Frau geworden und muß aufpassen: Der da bewegt sich schon. Ich muß davonlaufen. Aber wohin? Draußen ist es dunkel.
    In die Kammer? Den Schlüssel umdrehen und in Mamas Arme fliehen. Aber es drang kein Laut hinter der Tür hervor, und außerdem hatte mich die Mama noch nie umarmt, sie umarmte immer nur Tina. Auch jetzt hörte man, wenn man das Ohr an das Holz legte, daß sie eng umschlungen schliefen. Man hörte Tinas schweren Atem und den leichten der Mama, wie jeden Abend: Ich quer zu ihren Füßen und sie eng aneinandergedrängt in dem großen Bett. Nein, sie würde nicht aufschließen, sie wollte nur wissen, ob sie sich auch dort auf dem Boden eng umschlungen hielten. Mit der Lampe könnte man vielleicht durch die Ritzen etwas erspähen. Nein, man sah nichts … Ich muß sie wecken, ich muß sie mit dem Licht der Lampe wecken … Ich brauche bloß die Lampe vor die Tür zu stellen und das Glas, das die Flamme schützt, abzunehmen, damit diese mir, wenn ich nicht zurückweiche, wie die Sonne die Stirn spaltet und sofort über das von der Dürre ausgetrocknete Holz züngelt. Schon seit Monaten hatte es nicht mehr geregnet.
    Tuzzu hatte damals einen Fehler gemacht, Tina aus den Flammen zu retten. Er hatte einen Fehler gemacht, er hätte doch nur mich retten sollen. Aber diesmal war er nicht da, und ich würde nicht um Hilfe rufen, selbstwenn ich aus Angst vor den Flammen und dem Rauch, der mich fast erstickte, sterben müßte. Ich würde nicht einmal schreien.

5
    »Das arme Kind! Das arme Kind! Wenn ich es nicht mit eigenen Augen gesehen und mit eigenen Ohren gehört hätte, würde ich es nicht glauben. Laßt sie doch in Ruhe, Maresciallo, laßt sie in Ruhe. Quält sie nicht länger. Seht Ihr nicht, wie sie zittert? Was wollt Ihr denn noch wissen? Seit drei Tagen befragt Ihr sie nun schon, und leider ist doch alles so klar! So schrecklich, als ob es im Mittelalter und nicht im Jahr 1909 passiert wäre. Und alles nur, weil die Gottesfürchtigen das Dorf nicht mehr im Griff haben und die Gottlosen …«
    »Verzeiht, Madre, aber das hier hat nichts mit Politik zu tun. Wenn Ihr gestattet, ich habe in den vergangenen drei Tagen nur meine Pflicht getan. Solche Sachen passieren leider verdammt … Oh, entschuldigt, ehrwürdige Mutter, ich wollte nur sagen, daß … Nun ja, ich habe so viele solcher Sachen gesehen, daß ich sie gar nicht mehr zählen kann. Außerdem ist es meine Pflicht, auch um dieses Kind zu schützen, daß ich den Hergang aufkläre.«
    »Heilige Mutter Gottes! Seid doch still! Seht Ihr nicht, daß sie einen neuen Anfall bekommt, sobald sie Eure Stimme hört?«
    Diese sanfte Stimme, hört ihr nicht, wie sanft sie ist? Es ist die Stimme von Madre Leonora, die mir eingab, in Ohnmacht zu fallen. Das war einfach: Es reichte, die Lider fest zuzukneifen und die Fäuste zu ballen, bis die Augen zu tränen anfingen und die Nägel, die sich in die Handflächen gruben, mich am ganzen Körper zitternließen wie Tina, wenn die Mama wegging. Von ihr hatte ich das gelernt, und wie Tina – ich sah sie deutlich hinter den geschlossenen Lidern – fing ich sofort an zu zittern.
    »Habt Ihr denn kein Herz, Maresciallo? Laßt sie doch in Frieden. Habt Ihr nicht gehört, was Doktor Milazzo gesagt hat? Sie darf an nichts aus dieser entsetzlichen Nacht erinnert werden, an gar nichts! Die Kleine muß

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