Die unwahrscheinliche Reise des Jonas Nichts
verwirbelt und aufeinandergetürmt. Es gab keine Wipfel mehr, die den Blick auf das Schloss verstellten, und aus der Entfernung sah es aus, als hockte Almas Palast tief im Innern der Insel auf einem frisch errichteten Scheiterhaufen. Doch einstweilen war es die Kaserne, die brannte. Lichterloh, unter quellendem Rauch.
Jonas begriff – er sah auf ein Schlachtfeld. Die Rebellen hatten die Insel erreicht und kämpften. Bestimmt hatten sie die Kaserne in Brand geschossen. War Ole irgendwo da unten? Waren Ruben und Peregrin Aber dem Feuer entkommen?
Auch der Wieflinger und Arnon Blau schauten stumm zur Insel hinüber. Der Wind griff nach Arnon Blaus dünnem, staubverkrustetem Haar.
Jonas drehte sich um. Nur, um sicherzugehen. Aber da war kein Spinnenpalast mehr. Ein Waldstück grenzte an eine ihm wohlbekannte Lichtung, ein Pfau zerrte sein eingefaltetes Rad über das Gras. Von dort drüben war Jonas einmal gekommen. Mit Ole. Vor einer kleinen Ewigkeit.
Jonas wandte sich ab. Zu seinen Füßen lag das Trabantendorf. Er spähte den Hügel hinab, machte die vertrauten Reetdächer aus, die sich bis an das Seeufer drängten, und hörte wieder das leise Summen der Stimmen.
»Kommt«, sagte er und Arnon Blau und der Wieflinger folgten ihm schweigend den Hügel hinab.
Als Jonas den Zaun erreichte, musste er lächeln. Es war derselbe verkrautete, kleine Garten, dasselbe geduckte, weiße Häuschen. Sogar die alten, verblichenen Fischernetze hingen noch da. Nur das Boot war verschwunden. Als er mit Ole hier entlanggeschlichen war, hatte es aufgebockt im Garten gestanden. Jetzt waren nur noch die Böcke übrig. Einer von ihnen war umgestürzt und lag im hohen Gras. Ein Zitronenfalter wehte durch den Garten.
Diesmal stand die Hintertür des Häuschens offen, doch es war niemand zu sehen. Die Stimmen waren jetzt lauter. Hinter dem Haus, auf dem Dorfplatz, hörte Jonas Kinder rufen und Männer brummen, er hörte Schritte und das Poltern, Rumpeln, Scheppern, Klappern einer allgemeinen Geschäftigkeit. Als er das erste Mal hergekommen war, hatte er einzig das gleichförmige Kratzen eines Besens gehört. War die Frau, die diesen Besen damals geschwungen hatte, wirklich kein Trabant mehr? War wirklich Tilla aus ihr geworden?
Als Jonas auf den schmalen Pfad einbog, der um das Haus führte, ließ er seine Hand über den Zaun streichen und spürte der feinen Maserung der Holzlatten nach. War das Tillas Stimme inmitten all der anderen?
Plötzlich war Jonas schrecklich aufgeregt. Er blieb stehen und stützte eine Hand gegen die Hauswand. Genau hier hatte er mit Ole gestanden und um die Ecke gelugt. Wie wenig hatte er damals gewusst!
Er spürte den Wieflinger hinter sich. Arnon Blau hinkte heran. Jonas wischte sich die schwitzigen Handflächen an der Hose ab, dann trat er aus dem Schatten der Hauswand, um gleich wie angewurzelt stehen zu bleiben.
Das Trabantendorf war nicht wiederzuerkennen. Die gekalkten Hauswände, die reetgedeckten Dächer, der sandige Platz mit der Eiche und der Steg aufs Wasser hinaus – das alles war unverändert. Die bleierne Stille jedoch, die auf dem Dorf gelastet hatte, war verflogen. Jetzt wimmelte es von Leuten!
Unter der Eiche standen lange Tische und Bänke. Dicht gedrängt saß man dort beieinander, aß, trank, redete und gestikulierte aufgeregt. Andere, große oder kleine Gruppen standen am Ufer und wiesen immer wieder aufs Wasser hinaus, zu den Rauchwolken über der Insel hinüber oder zu dem halben Dutzend voll besetzter Boote im See, das auf den Steg zuhielt. Eine Horde Kinder jagte über den Platz, es waren eins, zwei, drei … sieben. So viele Kinder hatte Bror.
Jonas stand da und staunte. Die halbe Welt des Spiels war hier versammelt, Wahrscheinliche und Unwahrscheinliche, unterschiedslos. An den Tischen saßen eigentümlich abgerissene, magere Fängge und Wichte neben Trabantenbauern und Trabantenfischern. Und zwischen ihnen leuchtete im hellen Sommerlicht mit schöner Regelmäßigkeit die gelbe Uniform eines Trabentensoldaten auf. Das Gleiche galt für die Gruppen am Ufer, wo gerade eines der Boote anlegte. Es musste von der umkämpften Insel gekommen sein. Zwei Trabantensoldaten wateten ins flache Wasser hinaus und griffen einem erschöpften Monokel unter die Arme. Schwer auf die beiden Gelben gestützt, erreichte er das Ufer, und Jonas erkannte ihn gleich – das halblange, schwarze Haar und das schmutzig weiße Hemd. Es war der Monokel, dem er im Klosterhof begegnet war. Jonas’ Herz
Weitere Kostenlose Bücher