Die uralte Metropole Bd. 1 - Lycidas
bemerkte, dass ich der Anweisung des Elfen kommentarlos Folge leistete.
Die ganze Zeit über schon hatte mich das Gefühl beschlichen
, erzählte Mylady,
dass da außer mir noch etwas war. Es war der Instinkt meiner Art, der sich mir die Nacken- und Barthaare aufstellen ließ. Etwas kroch hinter mir durch die Dunkelheit. Da war ein Geräusch wie von einem Wesen, das versuchte, kein Geräusch zu machen. Die Abwässer und der Unrat rochen anders. Etwas Fremdes mischte sich in den Duft der fauligen Exkremente. Etwas war dabei, sich anzuschleichen.
»Was war es?«
Etwas, das klein genug war, mir durch die Rohre zu folgen
. Myladys Äuglein blinzelten unruhig.
Ein Aroma, das mir fremd war, stach mir in die Nase. Plötzlich fühlte ich mich als Beute, die noch nichts von ihrem Schicksal ahnt. Das dunkle Wasser plätscherte. Schnell krabbelte ich weiter und erreichte das Ende des Rohres. Ich schlüpfte in einen großen Kanal, der auch für Menschen begehbar ist. Fackeln hingen dort an den Wänden. Kurz zuvor hatte ich die Orientierung verloren, als ich dem Instinkt folgend kopfüber die Flucht angetreten hatte. Ich mutmaßte, dass der Tunnel, in dem ich mich befand, zur alten Route der Streicher gehörte, die hinauf nach Hidden Holborn führt.
Gebannt lauschten alle Anwesenden der Erzählung der Rättin.
Emily knabberte nervös an ihrer Unterlippe.
Dann sah ich es auf mich zukommen
.
»Sie haben es erkannt?«
Nur einen Schemen. Es hatte die Statur einer Ratte. Doch war da kein Fell. Nur schuppige Haut, die kühl und nass war, wie die einer Echse. Es hatte eine lange, gekrümmte Schnauze wie die Spitzmäuse und überaus scharfe Zähne.
Offenbar schauderte Mylady noch jetzt, wenn sie an die Begegnung mit jener Kreatur dachte.
Es biss sofort zu und fauchte wild. Es war auf Beute aus. Doch irgendwie wurde ich das Gefühl nicht los, dass ich keine zufällige Beute war. Schleichend war es mir gefolgt. Im Schein der Fackeln konnte ich es nur mühsam erkennen. Gelbe, reptilienhafte Augen, die lidlos starrten, während sich die langen Zähne des Wesens immer wieder in mein Fleisch gruben. Meine Schreie hallten von den Wänden wider.
Erst jetzt fiel Emily auf, dass Mylady statt ihres langen Rattenschwanzes nur noch einen verkümmerten Stummel vorzuweisen hatte. Beschämt versuchte die Ratte, diesen Zustand zu verbergen.
Etwas lähmte mich
, berichtete sie weiter.
Eine eisige Kälte kroch mir durch den Körper. Das Ding fauchte. In einer fremdländischen, zischelnden Sprache. Orientalisch anmutend.
Maurice Micklewhite wollte gerade etwas sagen, als Mylady ihm zuvorkam.
Nein, Ägyptisch war es nicht.
»Keine von Kensingtons Kreaturen demnach.«
»Lordkanzler Kensington bleibt innerhalb der Grenzen seiner Grafschaft«, sagte Maurice Micklewhite.
Nun denn.
Die Kreatur tobte nahezu berserkerhaft
, beschrieb Mylady die Attacke.
Wäre nicht eine Gruppe Tunnelstreicher des Weges gekommen, würde ich wohl kaum mehr unter den lebenden Nagern weilen.
»Das Wesen hat von Ihnen abgelassen?«
Augenblicklich
, gab Mylady mir zur Antwort,
als die Schritte der Menschen durch den alten Tunnel hallten. Die Tunnelstreicher hatten meine Schreie vernommen. Das Wesen verschwand wieselflink, und bevor ich das Bewusstsein verlor, offenbarte sich mir die seltsame Gestalt im flackernden Licht einer Laterne.
Die Vorderfüße strichen die Barthaare an der Schnauze entlang. Eine Übersprungshandlung, typisch für Angehörige ihrer Gattung.
Es sah aus wie eine Ratte mit Reptilienhaut. Es hatte weder Ohren noch Schwanz, dafür aber Beine, die zu lang waren für eine Ratte. Und es hatte gelbe, leuchtende Augen.
»Fluoreszierend?«
Mylady nickte nur.
»Ein Bewohner der unteren Schichten?«
»Dann hätten wir zumindest dürftige Kenntnis von der Spezies«, entgegnete Maurice Micklewhite.
Womit er Recht hatte.
Die Tunnelstreicher kennen kaum Wesen dieser Art
, sagte Mylady.
Nachdenklich starrten alle in der Runde auf die Rättin.
»Mylady Hampstead hegt den Verdacht«, sagte Maurice Micklewhite schließlich, »dass wir es mit einem Attentäter zu tun haben, der gezielt nach Myladys Leben trachtete.«
»In wessen Auftrag?«
Maurice Micklewhite nippte an seinem Tee und stellte klar: »Das herauszufinden wird unsere Aufgabe sein.«
Es war giftig
. Unser aller Augen wendeten sich erneut der Rättin zu.
»Wir werden ein Gegengift finden«, versprach ich ihr voreilig.
Mir ist keines bekannt
, sagte Mylady traurig.
Und du, Mortimer, bist einst
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