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Die uralte Metropole Bd. 1 - Lycidas

Die uralte Metropole Bd. 1 - Lycidas

Titel: Die uralte Metropole Bd. 1 - Lycidas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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konnte. Alle Opfer wiesen Lehmspuren auf. Das war die Gemeinsamkeit. Das war es, was die Polizisten der Metropolitan übersehen hatten.«
    »Master Abberline ausgenommen.«
    »Wahrlich ein guter Mann«, sagte Maurice Micklewhite. »Ja, am Ende waren es die Lehmspuren, die uns zu der Bestie führten.«
    Entgeistert entfuhr es Aurora: »Sie meinen, Jack the Ripper wurde gefasst?«
    »Ja.«
    »Niemand weiß davon.«
    Unwirsch antwortete ich: »Einige schon.«
    »Wer ist es gewesen?« Emilys Auge leuchtete. Fast war ihr, als könne sie die Vergangenheit berühren. Jene Zeit, in der die Welt sich verändert hatte.
    Die Whitechapel-Aufstände.
    Wie mysteriös sich dies anhörte, beinah magisch.
    Eine Milchmädchenrechnung war es, die seitdem vergangenen Jahre zu berechnen. Und etwas ging dabei nicht auf. Jack the Ripper, das wusste sie aus Büchern, hatte London zum Ende des 19. Jahrhunderts heimgesucht. Es hatte Aufstände gegeben, in deren Folge es zur Hochzeit zwischen den Häusern Manderley und Mushroom gekommen war. Wie alt, fragte sie sich wie so oft in den letzten Monaten, ist meine Mutter? Emily Laing war dreizehn Jahre alt, und wenn ihre Mutter Mia Manderley damals gelebt und Emily nach deren Geburt – und vor der Heirat in die MushroomFamilie – ins Waisenhaus gegeben hatte, dann stimmte da etwas nicht.
    Zugegebenermaßen war es eine Frage, die schon lange in ihrem Kopf herumschwirrte.
    Und die zu stellen sie nicht müde geworden war.
    »Es ist so eine Sache mit der Zeit«, hatte ich ihr geantwortet, als sie sich zum ersten Mal danach erkundigte.
    »Tolle Antwort«, hatte sie gemeckert.
    »So ist das nun mal.«
    »Geht’s auch genauer?«
    »Nein, eigentlich nicht.«
    »Sie wissen es nicht.« Ich hasste es, wenn sie versuchte, sich meine Eitelkeit zur Verbündeten zu machen.
    »Wenn Sie meinen.«
    »Sie wollen es nicht sagen.«
    »Genau.«
    »Glaube ich nicht.«
    Beenden konnte man lästige Diskussionen dieser Art mit einem einfachen »Nun fragen Sie nicht andauernd!« oder einem heftigeren »Jetzt geben Sie endlich Ruhe!«
    Früh genug würde sie herausfinden, was es mit der Zeit auf sich hatte.
    Im Moment hatten wir Probleme.
    Die einer schnellen Lösung harrten.
    Jetzt.
    Nicht später.
    Mylady Hampstead fuhr sich müde mit einer Pfote über die Schnauze.
    Wer der Ripper gewesen ist?,
piepste sie.
Eine Bestie
. Dann offenbarte sie den Kindern die Natur jener Bestie, deren Körper Staub und deren Name unsterblich geworden war.
    Mit offenen Mündern starrten die Kinder die Rättin an.
    Emily hatte nie zuvor von einem solchen Wesen gehört. Aber sie war noch jung. Und wenngleich sie dazu neigte, Unmengen an Büchern zu verschlingen, so hatte sie zweifelsohne noch nicht alles gelesen. Gustav Meyrink oder Rabbi Löw. Zwei emsige Autoren, die ziemlich genau wussten, worüber sie schrieben. Beide wussten um die Macht des Wortes. Dies waren die Autoren, die ich Emily zu lesen auftrug.
    »Sie glauben, dass die Bestie zurückgekehrt ist?«, fragte Aurora bang.
    »Das ist eine lange Geschichte.«
    »Die Sie uns auch erzählen werden?«, meinte Emily betont süffisant.
    Ich verkniff mir eine Bemerkung. »Unterwegs«, sagte ich nur.
    Meine Blicke begegneten der alten Rättin, die schon so viele Schlachten geschlagen hatte und nunmehr kränkelnd und erschöpft dasaß. Ein Häufchen Elend, stolz und unbeugsam und dennoch verängstigt, mit struppigem Fell und erloschenem Glanz in den schwarzen Knopfaugen. Dieses Mal würden andere losziehen. Heute würden wir sie in der sicheren Wärme des Britischen Museums zurücklassen.
    »Wohin gehen wir?«, wollte Emily wissen.
    »Hinab«, antwortete ich wahrheitsgemäß. »Hinab in die uralte Metropole.«
    Denn nur dort, da waren wir uns alle einig, würden wir finden, was zu suchen unsere Aufgabe war.

Kapitel 4
Hidden Holborn
    Hidden Holborn liegt direkt unterhalb von High Holborn. Dort hatte der Angriff auf die Rättin stattgefunden, und dort würden unsere Nachforschungen beginnen. Mit hochgeschlagenen Kragen eilten wir, dem garstigen Wetter trotzend, vom Museum aus ostwärts.
    Holborn ist mit seinen Courts of Justice und den Inns of Court seit jeher das Revier von Juristen und Journalisten. Früher einmal beherbergte die Fleet Street die meisten der großen Zeitungen, die mittlerweile jedoch in andere Stadtteile abgewandert sind. Der Untergrundbahnhof Holborn liegt zwischen Proctor Street und Lincoln’s Inn, und es war dort, wo wir die Stadt unter der Stadt betraten. Nur wenige

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