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Die uralte Metropole Bd. 1 - Lycidas

Die uralte Metropole Bd. 1 - Lycidas

Titel: Die uralte Metropole Bd. 1 - Lycidas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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herbstliche London.
    »Ja. Immerhin hat sie uns seit einem Jahr in Ruhe gelassen.« Dann hatte sie Aurora von ihrer Beobachtung berichtet.
    »Vielleicht hast du es dir nur eingebildet.«
    Emily glaubte nicht an einen Irrtum, wenngleich sie dies zuzugeben noch nicht bereit war. »Es sah so aus, als würde das Licht in der Laterne flackern. Was, wenn es keine Einbildung gewesen ist? Was hat es dann zu bedeuten?«
    Schweigend waren sie durch die Pfützen auf dem Russell Square gestapft und hinunter zur Great Russell Street. Von da an war es nicht mehr weit bis zum Haupteingang des Britischen Museums.
    So viele unbeantwortete Fragen schwirrten in Emilys Kopf umher. Wie war es Lycidas nur möglich, dort oben in der Laterne der St.-Paul’s-Kuppel zu überleben? Was war seiner Gefährtin, der Lichtlady, widerfahren? Wo steckten die beiden Häscher des Lichtlords, und wo trieb sich Reverend Dombey herum?
    »Hat Master Micklewhite dir gegenüber etwas erwähnt?«, hatte Emily nachgehakt, denn Aurora wurde außerschulisch von Maurice Micklewhite ausgebildet. Er war ihr Mentor, und es hätte ja sein können, dass er während der letzten Lektionen etwas hatte verlauten lassen. Emily hatte darauf gehofft, da der Elf etwas gesprächiger war als ihr eigener Mentor.
    »Kein Wort. Und Wittgenstein?«
    »Frag nicht.«
    Die Mädchen hatten gekichert.
    »Immer diese Geheimniskrämerei.«
    Was Emily mit einem kurzen »Tja« quittierte.
    »Wir werden es wohl gleich erfahren. Was immer es ist.«
    »Ja.«
    In der Tat sollten sie es erfahren.
    Zu diesem Zweck hatte uns Mylady Hampstead schließlich dorthin beordert.
    Es gibt beunruhigende Neuigkeiten
, teilte sie uns mit.
    Wir hatten es uns in Maurice Micklewhites Büroräumen gemütlich gemacht. Mylady Hampstead hatte dort auf uns gewartet, und als wir den Raum betraten, lag sie schlafend und erschöpft und zusammengerollt, wie es der Ratten Art ist, im breiten ledernen Sessel hinter dem Schreibtisch.
    Ich bin wohl eingenickt
, entschuldigte sie sich augenblicklich und peinlich berührt.
    Entsetzt registrierte ich den Zustand, in dem sich die alte Rättin befand, und selbst Emily und Aurora, die Mylady weniger gut kannten, entging er nicht. Der samtige Glanz war aus dem grauen Fell gewichen, das nunmehr struppig und ungepflegt wirkte. Die schwarzen Knopfäuglein schauten erschöpft und beinah furchtsam in die Runde.
    Sehe ich so schlecht aus für junge Augen?,
piepste sie, nachdem sie die Kinder begrüßt hatte.
    »Aber nein«, sagte Emily eilig.
    Sie sind eine schlechte Lügnerin
, antwortete die Rättin, und mir fiel auf, wie brüchig ihre Stimme klang.
Doch ist dies nicht das Privileg guter Menschen? Sie können nicht lügen und werden allzeit dabei ertappt; selbst dann, wenn sie es nur tun, um höflich und rücksichtsvoll zu sein.
    »Was ist Ihnen zugestoßen?«, fragte ich.
    Meine Mentorin in diesem Zustand zu sehen schmerzte.
    Mylady setzte sich mühsam auf die Hinterbeine.
Vor zwei Tagen, nach einer Sitzung des Senats, durchquerte ich die Abwasserschächte im Westend. Am Haymarket ging ich kurz nach oben, um in den Mülltonnen am Piccadilly Circus nach dem Abendessen zu suchen. Eine lukrative Angelegenheit.
    Emily rümpfte innerlich die Nase. Bei all der Ehrerbietung, die wir den Ratten zuteil werden lassen, vergaß sie manchmal, dass es sich immer noch um Ratten handelte, um kleine, graue Nager, die sich genau so verhielten, wie es Geschöpfe ihrer Gattung nun einmal tun. Adel hin, Adel her. Auch eine Mylady Hampstead wird nicht an einer gut bestückten Mülltonne vorbeihuschen.
    Nach dem Abendmahl begab ich mich wieder in die Kanalisation hinunter. Die neuen Rohre entlang der Shaftesbury Avenue sind zwar etwas beengend, jedoch gibt es dort eine Strömung, die unsereins schnell hinauf zur Charing Cross Road befördert
.
    Emily stellte sich vor, wie sich die Rättin von einer Flut Unrat dahintreiben ließ.
    Die schnellen Strömungen
, bemerkte Mylady, der Emilys Blick nicht entgangen war,
sind unsere M25. Sozusagen
. Die kleine Schnauze hob sich zu einem Lächeln. Ihren Humor hatte sie also noch nicht eingebüßt.
    Doch schweife ich ab
, fuhr sie fort,
und das sollte ich nicht tun. Nun denn. Ich benutzte den Shaftesbury Strom bis hinauf nach High Holborn, wo ich einige verlassene Schächte entlangkroch, bis ich endlich den Bahnhof Holborn erreichte. Dort geschah es dann. Auf dem 1912 stillgelegten Bahnsteig.
    »Was geschah?«
    Maurice Micklewhite bedeutete mir zu schweigen.
    Emily

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