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Die uralte Metropole Bd. 1 - Lycidas

Die uralte Metropole Bd. 1 - Lycidas

Titel: Die uralte Metropole Bd. 1 - Lycidas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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würden die Londoner noch heute hier unten hocken.«
    Am Ende der Leiter befand sich ein etwas größerer Korridor, von dessen niedriger Decke Elektrokabel lose herunterhingen.
    »Vorsicht«, warnte der Herbergsvater. »Die Leitungen können einen umhauen.«
    Bestens, dachte Emily. Dem Waisenhaus entronnen, die Lektionen überlebt, und dann erwischt einen die nicht gesicherte Stromleitung in einer unterirdischen Herberge.
    Vorsichtig bewegten wir uns vorwärts und vermieden es, den baumelnden Leitungen zu nahe zu kommen.
    »Wenn das Licht nicht brennt«, erklärte der Herbergsvater, »dann erwischt es so manchen Strolch, der hier ohne Erlaubnis einzudringen versucht. Drüben in den Zimmern flackert die Beleuchtung kurz auf, und einer der Gäste muss dann nachschauen, wer zuckend und sabbernd im Gang liegt und es kaum mehr schafft, seinen Namen zu stammeln.«
    »Höchst wirkungsvoll«, sagte ich.
    Der Herbergsvater fasste es als Kompliment auf.
    Emily beobachtete die Stromleitungen nunmehr noch sorgfältiger, als sie es ohnehin schon getan hatte. Am Ende des Korridors öffnete sich auf ein Klopfzeichen des Herbergsvaters eine eiserne Tür, die ursprünglich als Schutz gegen Flutwasser gedient hatte, wie man an den Rostspuren unschwer erkennen konnte.
    Hinter dieser Tür war endlich der Wohnbereich.
    Wände und Decke bildeten eine gekachelte, perfekte Rundung. Vermutlich war dies ursprünglich der obere Teil des einstigen Bahnhofs gewesen, den man halbiert hatte, um mehr Raum zu gewinnen. Improvisierte Wände teilten den niedrigen Raum, der eine Länge von mehreren hundert Metern haben mochte, in einzelne Zimmer – wollte man diese so nennen, wobei die Wände aus allen möglichen Materialien bestanden, deren man hatte habhaft werden können. Da gab es morsche Bretter und lumpige, zwischen Eisenstangen aufgehängte Laken, ganze Möbelstücke und Pappwände, aufeinander gestapelte Kartons und sogar einige Motorhauben. In den schmalen Alkoven standen Pritschen mit dünnen Matratzen und Decken aus dicker, grober Wolle. Männer und Frauen saßen in Gespräche vertieft, dahindösend oder essend herum und betrachteten neugierig die Ankömmlinge.
    »Wir grüßen Euch!« Folgen ließ ich den Worten eine dezente Verbeugung.
    Emily tat es mir gleich: »Wir grüßen Euch!«
    Der Herbergsvater sagte nur: »Da habt Ihr einen ganzen Haufen Tunnelstreicher. Einer von denen müsste Euch weiterhelfen können.« Mit diesen Worten machte er kehrt und verschwand in dem Korridor, durch den wir hergekommen waren.
    Erwartungsvoll sahen uns die Streicher an.
    Sie trugen kurze Gewänder und lederne Hosen, und viele von ihnen hatten bunte Bänder in die langen Haare eingeflochten. Emily erinnerten sie an Gaukler aus dem Mittelalter oder zumindest jene Spielleute, die sie in Filmen gesehen hatte. Es war seltsam, inmitten dieser Tristesse auf so viele Farben zu treffen.
    »Wie können wir Euch zu Diensten sein?« Ein hagerer Mann kam auf uns zu, gekleidet in Purpurrot und mit einer langen Feder, die aus dem breitkrempigen Hut ragte.
    »Wittgenstein aus dem Hause Hampstead«, stellte ich mich vor.
    »Und ich bin Emily Laing.«
    »Meine Schutzbefohlene.«
    »Hampstead, sagt Ihr?«
    »Ja.«
    »Dann kommt Ihr wegen der Ratte und dem, was ihr zugestoßen ist.«
    Scheinbar hatten hier unten alle mit unserem Besuch gerechnet.
    »Ihr sagt es.«
    Der Streicher lächelte freundlich: »Entschuldigt, wenn ich vergaß, mich vorzustellen. Mièville. Das sollte genügen.« Er bot uns Platz an einem runden Tisch in der Mitte des Raumes an, auf dem sich ein Sammelsurium an Wasserpfeifen befand. »Ihr wisst, dass wir die Ratte nicht hier fanden? Es war eine Gruppe Feilscher vom Green Park, die Mylady Hampstead fand. In den Katakomben zwischen Holborn und Aldwych. Sie hörten das Geschrei und eilten der Rättin zu Hilfe. Dann brachten sie sie hierher, wo wir sie einen Tag lang pflegten und sie schließlich zur Piccadilly Line geleiteten, die sie sicher zum Britischen Museum brachte.«
    Ich dankte ihm dafür.
    »Habt Ihr Kenntnis davon, welche Kreatur Mylady angegriffen hat?«
    »Ja«, sagte Mièville.
    Die anderen Tunnelstreicher scharten sich um unsere Gesprächsrunde und lauschten aufmerksam.
    »Wir nennen sie Rattlinge«, sagte Mièville.
    Begleitet wurde dieser Ausspruch von einer Reihe Bemerkungen der anderen Tunnelstreicher.
    »Plage.«
    »Mistviecher.«
    »Blutsauger.«
    »Kalthäute.«
    Müßig zu behaupten, ich hätte gewusst, wovon sie

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