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Die uralte Metropole Bd. 1 - Lycidas

Die uralte Metropole Bd. 1 - Lycidas

Titel: Die uralte Metropole Bd. 1 - Lycidas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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sprechen.
    »Rattlinge, sagtet Ihr?«
    Mièville nickte und nahm erneut einen langen Zug aus seiner Pfeife, schloss die Augen und drehte den Kopf ein wenig umher. »Sagt bloß, Ihr habt noch nicht von den Rattlingen gehört? Herrje, wo habt Ihr Euch die letzten Monate herumgetrieben?«
    »Fragt nicht!«
    Emily musste sich ein Grinsen verkneifen.
    Aus einem mir unerfindlichen Grund empfand sie mein mürrisches Verhalten oftmals als amüsant.
    Nun denn!
    Mièvilles hageres, unrasiertes Gesicht wurde ernst. »Wir haben keine Ahnung, wie ihr richtiger Name lautet. Vereinzelt streunen sie durch die Tunnel. In den letzten Monaten häuften sich die Erzählungen der fahrenden Händler, die von Begegnungen mit dieser Art zu berichten wussten. Zumeist harmlose Begegnungen, will ich anmerken.«
    Ein alter Mann in strumpfhosenähnlichen Beinkleidern sagte: »Blutsauger sind’s. Hab gesehn, wie sie ner fetten Katze ’n Garaus gemacht ham. Trinkn Blut un infiziern ihre Beute mit ner Krankheit.«
    »Was ist mit der Katze passiert?«, fragte Emily.
    »’s Fell issa ausjefalln un die Haut is janz schuppig jeworn. Dann isse krepiert. Nie nich hab ich ne Katz so jammern hörn, sach ich Euch!«
    Mièville hatte den Alten beobachtet. »Wir wissen nicht, wo genau die Rattlinge herkommen.«
    »Aber Ihr habt eine Vermutung.«
    »Ja. Es gibt einen Abgrund, drüben in den Tunneln unterhalb von Carfax Market. Kein Streicher, der bei Verstand ist, verirrt sich dorthin. Man sagt, seltsame Dinge gehen dort vor. Personen verschwinden, wenn sie sich der Stelle nähern.« Genüsslich blies er den inhalierten Rauch an die Decke. »Geschichten eben. Aber solche, die man ernst nehmen sollte, denke ich. Etwas geschieht dort draußen. Etwas ist im Wandel.«
    »Was denn?«, entfuhr es Emily.
    Sie hasste es, wenn um sie herum in Rätseln gesprochen wurde.
    Mièville sah sie belustigt an. »Ihr seid neugierig, Miss Emily, Schutzbefohlene von Wittgenstein.«
    Meine Worte.
    Er hatte es erkannt.
    »Tut mir Leid«, entschuldigte sie sich.
    »Es braucht Ihnen nicht Leid zu tun«, sagte ich ihr, und an den Tunnelstreicher gewandt: »Wir sind in höchstem Maße besorgt. Wie Ihr sicherlich wisst, gab es erneut Morde in der Metropole.«
    »Ja, drüben in Carfax.«
    »Mylady Hampstead bat uns, in dieser Angelegenheit Nachforschungen anzustellen.«
    Carfax schien der Punkt zu sein, zu dem alle Wege führten.
    »Geht zum Markt von Carfax und fragt nach dem Weg in die Region. Die Feilscher dort werden Euch helfen. Sagt, Mièville schickt Euch mit den besten Empfehlungen. Und fragt nach dem Abgrund. Man wird wissen, was Ihr damit meint.«
    Mièville erhob sich.
    Damit war das Gespräch beendet.
    Emily wusste, dass man in der uralten Metropole nicht viel der Worte verlor. Man sprach aus, was es zu sagen gab, und ging dann seines Weges. Des Tunnelstreichers Verhalten war somit weder höflich noch unhöflich. Es war schlicht und einfach die Art, wie man in dieser Welt miteinander umzugehen pflegte.
    Letzten Endes hatten wir bekommen, wonach es uns verlangt hatte.
    Wir hatten einen Hinweis erhalten. Mièville hatte uns den Weg gewiesen.
    »Auf nach Carfax!«, hieß es nunmehr.
    Und es galt keine Zeit zu verlieren.

Kapitel 5
Carfax
    Carfax Market liegt nahe Newgate Street, gleich zwischen der alten mittelalterlichen Stadtmauer, deren massive Quader noch immer bis tief in die Erde reichen, und den Fundamenten der St.-Paul’s-Kathedrale. Am besten erreicht man den Müllmarkt, der allwöchentlich dort stattfindet, durch das Portal im nahe gelegenen Bahnhof Mansion House.
    Es ist ein Treffpunkt der Restefresser und Penner, Stadtstreicher und Obdachlosen, die hier das feilbieten, was ihnen während ihrer Beutezüge durch das wogende Meer der Müllcontainer und Abfalleimer der Innenstadt in die Hände gefallen ist. Improvisierte Marktstände aus morschem Holz oder aus ihren Angeln gerissenen Türen, in Eile auf den Boden geworfene fleckige Teppichbodenreste mit ausgefransten Rändern und zusammengenähte Lumpen, auf denen die Waren ausgestellt sind, begrüßen den Besucher. Es stinkt gar grässlich dort unten. Händler mit rußigen Händen und roten Äderchen im Gesicht, stark nach Fusel riechend, bieten dort sogar Essensreste an, die irgendwer irgendwo aufgetrieben hat. Sich wellende Pizzareste und Klumpen kalten Porridges, halb verfaulte Fleischstücke und gammeliges Gemüse, das schon Freundschaft mit der Verwesung geschlossen hat, warten dort unten auf Kundschaft, die sich

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