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Die uralte Metropole Bd. 1 - Lycidas

Die uralte Metropole Bd. 1 - Lycidas

Titel: Die uralte Metropole Bd. 1 - Lycidas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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Jäger, und man trifft sie höchst selten an.«
    »Da haben wir ja richtiges Glück gehabt«, stänkerte Emily.
    Ihr Humor entwickelte sich.
    Dennoch spürte ich die Furcht.
    Vor der Hymenoptera und dem Golem und der Dunkelheit.
    »Was ist mit Dinsdale passiert?«
    »Normalerweise greifen Hymenopteras keine Irrlichter an«, antwortete ich ihr. »Zu wenig Fleisch für einen Räuber.«
    Emily versuchte sich ein Bild von der Hymenoptera zu machen, die das Irrlicht angefallen hatte. Da waren nur schwarze Beine und ein gelbes Aufblitzen gewesen. Es war zu schnell passiert, als dass sie etwas Genaues hätte erkennen können. Das Ding hatte Dinsdale mit den Beinen umklammert und zu Boden gerissen. Dann war das Irrlicht erloschen.
    »Was sollen wir jetzt tun?«
    »Wir dürfen auf keinen Fall Licht entzünden«, warnte ich sie. »Die Hymenoptera würde uns auf der Stelle attackieren.«
    »Ist das Ihr einziger Vorschlag?«
    Der genervte Unterton in der Stimme des Mädchens ließ erahnen, wie Emily Laing sich als Teenager entwickeln würde.
    »Fragen Sie nicht!«, grummelte ich.
    Dann wurde es Licht.
    Grell.
    Flutend.
    Alles durchdringend.
    Wie benommen kniffen wir die Augen zusammen, und als wir sie wieder öffneten, bot sich uns ein wenig ermutigendes Bild. Das Amphitheater war blendend illuminiert. Jemand hatte eine Flutlichtanlage installiert. Auf der ehemaligen Bühne ruhte bewegungslos eine riesige Gestalt, die sich kaum von der Farbe des Steins abhob. Der Golem. Zwischen den Sitzplätzen und der Bühne klaffte ein großes Loch im Steinboden. Der Abgrund. Noch bedeutsamer für unsere momentane Situation aber waren die Unmengen raupenähnlicher Gebilde, die zu hunderten überall auf den Sitzplätzen verstreut dalagen.
    »Sagen Sie jetzt bloß nicht, dass das alles Hymenopteras sind.« Emily war mit einem Mal ganz bleich geworden.
    Es war ihr nicht zu verdenken.
    Überall um uns herum setzten die Metamorphosen ein.

Kapitel 7
Bedrängnis
    »Der Golem von Whitechapel«, sagte Maurice Micklewhite mit ruhiger Stimme und unruhigem Blick, »war keine Kreatur von reiner Boshaftigkeit. Nein, nur jenen, die ihn erschaffen hatten, hätte man eine solche vorwerfen können. Nicht jedoch einem künstlichen Wesen, das nur versuchte, das zu sein, was es niemals würde sein können.«
    »Sie meinen, der Golem hat nur versucht, ein Mensch zu sein?«
    »Ja, das trifft es im Grunde.«
    Nachdenklich nippte der Elf an seinem Tee.
    Es war an der Zeit, dem Mädchen einen Blick in die Vergangenheit zu gewähren. In die Vergangenheit Londons und auch in jene eines gewissen Maurice Micklewhite, der zu jener Zeit dem Senat gedient hatte. Er war damals alt gewesen und dennoch jung, Ersteres gemessen in Jahren und Letzteres gemessen an Erfahrung.
    Nach dem Besuch am Trafalgar Square und dem Gespräch mit dem Herrn der Tauben, Lord Nelson, waren Aurora Fitzrovia und Maurice Micklewhite ernüchtert in die Nationalbibliothek zurückgekehrt. Dort hatten sie sich augenblicklich in den Lesesaal begeben, wo sie jetzt saßen und Tee schlürften. Niemand störte sich an diesem Verhalten, da der Lesesaal für Besucher an diesem Nachmittag gesperrt worden war und Maurice Micklewhite und Aurora die einzigen Gäste inmitten all der Bücher waren.
    »Bücher und Flüssigkeiten jedweder Art, das sollten Sie sich merken«, hatte der Elf dem Mädchen einst eingeschärft, »vertragen sich nicht miteinander. Seien Sie also auf der Hut. Papier verzeiht Feuchtigkeit niemals.«
    Aurora hatte versprochen, vorsichtig zu sein.
    Bevor sie in den Lesesaal gegangen waren, hatten sie Mylady Hampstead begutachtet, die flach atmend in einer mit warmen Decken aufgefüllten Kiste unter Maurice Micklewhites Schreibtisch dahindöste. Fell war der alten Rättin an einigen Stellen ausgefallen und hatte einer schuppigen Haut Platz gemacht. Aurora hatte die Hautstellen berührt und erschrocken festgestellt, dass sie kalt waren.
    »Die arme Rättin.« Aurora hatte Mitleid mit dem Tier.
    Der Elf hingegen wirkte nachdenklich und vorsichtig, als er sich ihr näherte.
    »Der Schlaf wird ihr gut tun«, stellte er lapidar fest.
    Dann verließen sie das kleine Büro im Nordflügel des Museums und begaben sich in den riesigen Lesesaal der Nationalbibliothek, wo jeder ihrer Schritte ein dumpfes Geräusch auf dem Boden erzeugte, das von den hohen Wänden der Kuppel widerhallte.
    Aurora rutschte unruhig in ihrem Sessel hin und her. »Sie glauben wirklich, dass wir es hier mit einem Golem zu tun

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