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Die uralte Metropole Bd. 1 - Lycidas

Die uralte Metropole Bd. 1 - Lycidas

Titel: Die uralte Metropole Bd. 1 - Lycidas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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sollte ich anmerken, mein Name öffentlich geächtet wurde. Deswegen, erklärte ich Emily, waren auch die elfischen Häuser nicht gut auf mich zu sprechen. Für sie war ich eine Person von zweifelhaftem Ruf.
    »Erinnern Sie sich an die Begegnung mit Mylady Manderley?«
    Natürlich erinnerte sich Emily.
    An die herrische und verbitterte alte Frau.
    Wie sie die lange, gewundene Treppe herabgestiegen war.
    »Sie hat Sie als Rattenfreund bezeichnet.«
    »In keinem freundlichen Tonfall, möchte ich anmerken.«
    »Sind Sie ihr bereits früher einmal begegnet?«
    »Fragen Sie nicht«, sagte ich schnell.
    Schlug den Kragen hoch und beschleunigte meine Schritte.
    »Maurice Micklewhite«, gestand ich ihr, »ist mit Sicherheit der einzige Angehörige seiner Art, der sich meiner Bekanntschaft nicht schämt.« Doch hatte Maurice Micklewhite, wie jedermann wusste, natürlich seine eigene Bürde zu tragen gehabt. »Es war Mylady Hampstead, die mir das Leben, das ich die letzten Jahre lang geführt habe, überhaupt erst ermöglicht hat.«
    Mylady hatte mich als Waisenjunge unter ihre Fittiche genommen, und mit ihr war ich den ganzen langen Weg von Schottland zur grauen Stadt der Schornsteine gereist, wo ich jegliche Arbeit annahm, die sich mir bot.
    Fleiß und Bescheidenheit
, so lautete eine Maxime der alten Rättin, deren Fell damals noch nicht so grau gewesen ist,
zahlen sich aus
. Und beides erlernte man am besten, wenn man demütig die Arbeiten erledigte, die einem aufgetragen wurden. In einer Bierschänke in Little Moorfields, als Kletterjunge in Rotherhithe – es war in jener Zeit, als ich zum ersten Mal vom grausamen Ruf des Waisenhauses hörte, das damals noch unter der Knute eines gewissen Reverend Murdstone betrieben wurde. Den Reizen schlechter Gesellschaft widerstand ich glücklicherweise. Viele der anderen Kinder hatten nicht dieses Glück und fielen auf die Verlockungen des Diebesgesindels und der Glücksspieler herein, die ihnen eine goldene Zukunft versprachen.
    Du wirst die Welt mit anderen Augen sehen
, hatte Mylady gesagt,
wenn du erst einmal mit der Nase in ihrem Dreck gewühlt hast
. Als Ratte hatte sie vermutlich gewusst, wovon sie sprach.
    Letzten Endes hatte sie mich vor einem weitaus übleren Schicksal bewahrt.
    Von den Eltern verstoßen und aus dem Dorf, in dem ich die ersten Jahre meines Lebens hatte verbringen dürfen, vertrieben, war ich verwahrlost, vom Ungeziefer zerfressen und in garstige Lumpen gehüllt durch die Gassen von Schottlands größter Stadt getorkelt. Eines Tages, als ich mich vor einer üblen Bande gewalttätiger Jungen hinter einem großen Abfallhaufen verbarg, stupste mich ein kleines Tier mit der Schnauze an und zwinkerte mir zu. Beinah hätte ich laut aufgeschrien, als die Ratte Worte an mich richtete.
    Worte dazu, die ich verstand.
    Agnes Hampstead nennt man mich. Und wie lautet Ihr Name?
    »Mortimer«, hatte ich schüchtern geflüstert und mich ängstlich nach der Bande umgeschaut.
    Sie werden verfolgt?
    Ich nickte nur.
    Und verschwieg, dass ich an einem Marktstand ein halbes Brot gestohlen hatte, weswegen es die Bande auf mich abgesehen hatte. Nicht, weil die Jungen irgendetwas mit dem Händler zu tun gehabt hätten; nein, sie waren schlicht und ergreifend selbst daran interessiert, sich das Brot unter den Nagel zu reißen. Lass jemand anderes den Diebstahl begehen und nimm es ihm dann weg. Vor Gericht hätten sie immer noch behaupten können, dass sie im Namen und zum Wohl des Händlers gehandelt hatten.
    Es wird Ihnen nichts geschehen, wenn Sie sich ruhig verhalten.
    »Warum kann ich Sie verstehen?«, fragte ich die Rättin.
    Sie lächelte.
    Ihre Schnauze bog sich dabei leicht nach oben.
    Die dunklen Kulleraugen zwinkerten mir zu.
    Warum sollten Sie mich nicht verstehen?
    Als ich Emily davon erzählte, erinnerte sie sich: »Genauso habe ich auch reagiert, als mich Lord Brewster in der Küche des Waisenhauses ansprach.«
    Begleiten Sie mich nach London?,
hatte sie wissen wollen.
    Man sollte bedenken, dass ich ein achtjähriger Junge war, der inmitten eines Haufens übelst riechender Abfälle lag, und dem dieses Angebot von einer Ratte, die er eben erst kennen gelernt hatte, unterbreitet wurde.
    »Warum?«, stammelte ich.
    Sie haben besondere Talente, die gefördert werden sollten.
    »Haben Sie mich etwa gesucht?«
    Welch eine törichte Frage!
    Nein
, stellte sie klar.
Wir haben uns einfach so getroffen.
    Mylady Hampstead war gerade dabei gewesen, an einem angefaulten Kohlkopf zu

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