Die uralte Metropole Bd. 1 - Lycidas
Laut, so wild und ungestüm, dass er nur von einem Tier herrühren konnte. Kein Mensch, dachte Emily, gibt solche Laute von sich.
Mit zitternden Knien folgte sie Mylady Manderley durch lange Korridore voll verhangener Bilder und flackernder Kerzenleuchter. Treppen stiegen sie hinauf, an deren Enden wieder neue Gänge und Korridore auf sie warteten. Manderley Manor, dachte Emily benommen, ist ein düsteres Labyrinth, aus dem jegliches Leben entwichen ist. Ein Irrgarten, in dem die Gegenstände mit weißen Tüchern verhüllt waren, wo sich außer den Dienstboten, der Herrin des Hauses und Miss Anderson niemand aufzuhalten schien. Es roch nach Staub und Mottenkugeln, nach der abgestandenen Luft von Jahrzehnten. Dielen knirschten unter ihren Füßen, und dicke Vorhänge hingen schlaff vor den hohen Fenstern.
Stetig nach oben führten Emily ihre Schritte. Hinauf zum Dachboden.
Unablässig stieg Mylady Manderley die Stufen der Treppe empor.
Oben angekommen wurden die beiden von Miss Anderson empfangen, die mit verschränkten Armen und eisigem Blick dastand, als hätte sie niemals etwas anderes getan, als in den Schatten zu lauern. »Das Kind schläft«, verkündete sie, die Mundwinkel abfällig herabgezogen.
Mylady quittierte die Bemerkung mit einem kurzen Nicken.
Das markerschütternde Kreischen zerfetzte die Stille, vermischte sich mit dem Sturm, der draußen um das Anwesen heulte, sich in den Giebeln und Erkern fing, unter die Dachziegel kroch und dem Jammern des Wesens, das hinter der Tür auf Emily wartete, Flügel zu verleihen schien.
Emily wünschte sich, sie wäre nicht allein in diesem Haus. Sie wünschte sich so sehr, Aurora wäre bei ihr. Ihre Freundin hätte nun sehen können, dass es alles andere als gut sein konnte, die eigene Familie kennen zu lernen.
»Sei vorsichtig, Kind!«, riet ihr Miss Anderson.
Ging zwei Schritt zurück und stand neben einer Tür. Sie streckte die Hand aus und drückte die Klinke.
Emily ging näher an die Tür heran. Nur spärliches Licht erhellte die enge Dachkammer.
»Hier sind alle Antworten, die du suchst«, sagte Mylady Manderley.
Und Emily sah mit Entsetzen, wie Recht die alte Frau hatte.
»Ich fühlte es«, gestand sie mir später. »Mara fürchtete sich, weil jemand in ihr Zimmer eingedrungen war.«
Doch wir sprachen erst, nachdem Emily Laing ihrer Mutter vorgestellt worden war. Nachdem sie verstanden hatte, was es mit den Geheimnissen von Manderley Manor auf sich hatte.
So viele Bilder waren auf sie eingestürmt, dass sie erst einmal gar nicht wusste, wessen Emotionen sie da empfing. Die Zeit zerlief wie Sand im Stundenglas, und die Ereignisse überschlugen sich förmlich.
Es begann damit, dass Mylady ihre Enkelin in die Dachkammer führte. Jene Dachkammer, die das beherbergte, was die Familie Manderley seit Jahren zu verstecken versuchte. Das dunkle Geheimnis, von dem man sagt, dass jedes große Haus eines besitzt.
In Manderley Manor hockte es in der Ecke der Dachkammer. Auf dem schmutzigen Boden, wo zerrissene, vergilbte Seiten alter Zeitungen und zerfledderte Bücher zu einem Haufen aufgetürmt worden waren, der Emily an eine Art Nest erinnerte. Mitten in diesem Haufen hockte mit strähnigem, rotblondem Haar, das zu lang und zu zerzaust war, um zivilisiert zu wirken, eine Kreatur, die einmal ein Mensch gewesen war. Mit Augen, die einst schön gewesen sein mochten, doch nunmehr verwirrt und unruhig im Raum umherwanderten und die Ankömmlinge misstrauisch beäugten.
»Das«, hörte Emily die Stimme der alten Frau, »ist deine Mutter.«
Ketten, die das Wesen an Hand- und Fußgelenken fesselten, hielten es allein davor zurück, sich auf die Anwesenden zu stürzen. Mia Manderley fletschte die Zähne wie ein Tier und fauchte und stieß sodann jenes lang gezogene Kreischen aus, das durch die Gänge des Hauses hallte. Sie lallte Unverständliches. Gutturale Laute, nichts weiter.
Emily stockte schier der Atem.
Die Ähnlichkeit war nicht zu leugnen. Hinter all dem Schmutz und Irrsinn war ein Gesicht verborgen, das eine ältere Version ihres eigenen Antlitzes war.
»Seit nunmehr einem Jahr verstecken wir sie hier oben.« Nüchtern klang die Stimme Miss Andersons. »Der Wahnsinn, der sie einst befiel, ist stärker geworden in den vergangenen Jahren.«
Entsetzt starrte Emily das Ding an, das ihre Mutter war.
»Richtig schlimm wurde es, nachdem Mara entführt worden war.« Mylady grübelte, suchte die Verbindungen. »Doch hatte sie der Irrsinn schon früher
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