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Die uralte Metropole Bd. 1 - Lycidas

Die uralte Metropole Bd. 1 - Lycidas

Titel: Die uralte Metropole Bd. 1 - Lycidas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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heimgesucht.«
    Mia Manderley trug nichts als ein schmutziges Nachthemd, das sie selbst an vielen Stellen zerrissen hatte. Bei jeder ihrer hektischen Bewegungen klapperten die Ketten und scheuerten ihr die Gelenke wund. Auf allen vieren hockte sie inmitten ihres Nests und versuchte zu ergründen, wer das Kind war, das da vor ihr stand.
    Emily wollte den Mund öffnen, um Fragen zu stellen.
    Doch versagte ihr die Stimme. Sie spürte, wie sich ihr der Hals zuschnürte.
    Und Tränen in ihre Augen traten.
    »Ich wusste gar nicht recht, wie mir geschah«, sollte sie mir später gestehen.
    Mia Manderley schnüffelte wie ein Hund.
    Nahm Witterung auf.
    »Etwas ist geschehen«, ergriff Miss Anderson das Wort. »Drüben in Blackheath.«
    »Ich verstehe nicht.«
    »Dummes Kind!«, schalt sie Mylady Manderley.
    Miss Anderson fuhr unbeirrt fort: »Sie haben etwas mit ihr gemacht. Nachdem Mara entführt worden war. Zuerst war sie nur anders gewesen, in sich gekehrt. Allerdings hatte sie in der Vergangenheit des Öfteren unter Stimmungsschwankungen und Depressionen gelitten. Mit einem Mal jedoch wurden die Anfälle heftiger. Und häufiger. Noch bevor die Ratte uns mitteilte, man habe Mara im Waisenhaus von Rotherhithe ausfindig gemacht, verschlimmerte sich ihr Zustand. Bereits damals nahmen wir sie wieder auf.«
    Anfangs hatte sie noch sprechen können. Dann hatte sich ihr Zustand zunehmend verschlechtert.
    »Ich glaube, sie hat etwas gesehen.« Das war Mylady Manderleys Meinung dazu.
    »Etwas gesehen?«
    »In den Mauern drüben in Blackheath ist es nicht geheuer. Schon immer ging dort etwas vor sich.« Fast schon beleidigt sagte sie: »Doch wollte mir ja niemand glauben. Oh, diese intriganten Ratten! Lord Brewster ist derjenige, dem wir all dies hier zu verdanken haben. Lord Brewster, der sich seit so langer Zeit nicht mehr hat blicken lassen.«
    Mia Manderley hockte sabbernd auf dem Boden und verstand offensichtlich nichts von dem, was da gesprochen wurde. Sie hatte den Kopf schief gelegt, und diese Geste erinnerte Emily an die kleine Mara, die sich ähnlich verhalten hatte, als sie ihrer Schwester gegenübergetreten war.
    »Du bist eine Trickster«, stellte Miss Anderson fest, »und wenn Mara ebenfalls eine Trickster ist, dann seid ihr beide Wechselbälger. Was nur eine einzige Schlussfolgerung zulässt.«
    »Richard Swiveller ist nach London zurückgekehrt.«
    Ja, dachte Emily.
    Das war der Teil der Geschichte, der Mylady Manderley unbekannt war. Ihr Vater musste zurückgekehrt sein und ihre Mutter erneut getroffen haben. Nur so konnte es geschehen sein, dass Mia einem zweiten Kind das Leben schenkte. Einem Kind, von dem Martin Mushroom geglaubt hatte, es sei seines.
    »Was ist mit ihm geschehen?«, fragte Emily.
    »Mit Swiveller?«
    »Ja.«
    »Wir haben es niemals erfahren.«
    Miss Anderson gab zu bedenken: »Lord Brewster versicherte uns, man habe ihn getötet.«
    Beweise hatte es jedoch keine gegeben.
    »Lord Brewster hat meinen Vater getötet?«
    »Sei nicht töricht, Kind! Er ist nur eine Ratte.«
    Mylady Manderley pochte mit dem Gehstock auf den Holzboden. »In Auftrag gegeben hat er die Tat. Das ist es, was die Ratten tun. Sie ziehen die Fäden. Sie intrigieren. Sie planen.«
    Emily schwindelte es mit einem Mal.
    War Lord Brewster nicht einer der Guten in diesem Spiel?
    »Du kannst niemandem trauen in dieser Welt«, sagte Mylady Manderley, und zum ersten Mal hatte Emily das Gefühl, als meine sie es ehrlich mit ihr. »Erst recht nicht in der uralten Metropole.«
    Erneut fiel des Mädchens Blick auf ihre Mutter.
    Die eine Melodie summend auf dem Boden hockte.
    Emily konzentrierte sich und suchte den Weg ins Bewusstsein Mia Manderleys. Es ging leicht, doch die Bilder, die sie vorfand, verstörten sie zutiefst. Sollte die kleine Mara je diesen Weg gewählt haben, war es nicht verwunderlich, dass sich das Kind vor seiner Mutter fürchtete.
    »Ich kann es nicht beschreiben«, würde Emily mir später gestehen.
    Es waren nur Empfindungen. Wolkenverhangene Verzweiflung. Grelle Farben, die in Formen und Schatten umeinander wirbelten und eine Gestalt in ihrer Mitte verbargen. Etwas Lebendiges hatte sich in Mias Erinnerung festgesetzt, etwas, das sie selbst nicht mehr zu sehen vermochte. Umrisse waren nur vage zu erkennen. Überall waberten Nebel. Furcht war eine Farbe und Leid eine andere. Konturenlos flossen all die Farben ineinander, sodass Emily Kopfschmerzen bekam. Schnell und heftig befielen sie sie, krochen ihr die

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