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Die uralte Metropole Bd. 1 - Lycidas

Die uralte Metropole Bd. 1 - Lycidas

Titel: Die uralte Metropole Bd. 1 - Lycidas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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brachte uns bis nach Marble Arch. Von dort aus schickten wir uns an, den verschneiten Hyde Park zu durchqueren. Emily Laing, die gedankenverloren neben mir durch den Schnee stapfte, hatte mir während unserer Fahrt dorthin von den Geschehnissen in Manderley Manor berichtet. Die Dinge, mutmaßte ich, begannen sich zusammenzufügen. Steerforth hatte Mara geraubt, und ich zweifelte nicht daran, dass er sie hinunter nach Blackheath bringen würde. In wessen, wenn nicht in Martin Mushrooms Auftrag, hätte er handeln sollen? Das Gefühl, das mich bereits während der letzten Stunden beschlichen hatte, erwachte aufs Neue. Dorian Steerforth hatte mehr mit dieser ganzen Angelegenheit zu tun, als uns bisher bewusst gewesen war.
    Es gibt keine Zufälle.
    Punktum.
    Mylady Hampstead hatte es gewusst, und ich wusste es ebenso.
    »Die alte Frau war wie von Sinnen«, berichtete mir Emily, »als ihr klar wurde, dass Mara entführt worden ist.« Sie rannte zum Telefon und schrie Befehle in den Hörer. Und Emily wurde mit einem Mal klar, dass Mylady Manderley, so sehr es auch den Anschein erweckt haben mochte, keine schwächliche alte Frau war, die zurückgezogen in ihrem verstaubten Anwesen dahinvegetierte, sondern das Oberhaupt eines mächtigen Hauses. Manderley Manor sandte auf Befehl Myladys seine Späher und Jäger aus, die in London und der uralten Metropole nach dem Kind suchen sollten. Spitzel wurden nach Blackheath gesandt und Schläfer aktiviert. »Vielleicht hat sie sogar ihre Leute in der uralten Metropole mobilisiert«, hatte Emily gemutmaßt.
    »Wohl kaum«, hatte ich diesen Gedanken zerstreut.
    Fragend hatte mich das Kind angesehen.
    »Mylady wird das Telefon nicht dazu benutzt haben, ihre Leute in der uralten Metropole zu kontaktieren.«
    »Wieso sind Sie sich da so sicher?«
    »Fragen Sie erst gar nicht.«
    Nachdenklich hatte ich zu ergründen versucht, wohin uns all diese Geschehnisse bringen würden. In den Stadtrandsiedlungen von Broadwater Farm im Norden Londons war es zu blutigen Ausschreitungen gekommen. Es hatte sogar einige Übergriffe in der Nähe des Ravenscourts gegeben. Mit besorgter Miene hatte Maurice Micklewhite mir mitgeteilt, dass die Gewalt, die schon immer ein Teil Londons war, in den letzten Tagen bedenkliche Ausmaße angenommen hatte. Es war wie damals, als der Pöbel von Whitechapel losgezogen und sich die Angehörigen der Familien zermürbende Straßenkämpfe und Tunnelschlachten geliefert hatten. Damals waren es abgesägte Planken, stumpfe Sägen, rostige Hellebarden und anderes Handwerkszeug gewesen, mit dem die Menschen aufeinander losgegangen waren. Heute waren es Pflastersteine, die aus dem Boden gebrochen wurden, oder Konservendosen, die man aus den Regalen der Supermärkte entwendet hatte. Vielerlei Gegenstände vermochten als Waffe zu dienen, und die Spielarten der Grausamkeit waren noch längst nicht ausgeschöpft worden.
    »Wir sollten uns beeilen«, hatte ich Emily gedrängt.
    Mylady Manderley hatte ihre Enkelin bereitwillig ziehen lassen.
    »Ich habe nicht die geringste Ahnung«, sagte Emily, »weswegen sie mir all das erzählt hat.« Hatte die alte Frau doch niemals Zweifel daran aufkommen lassen, dass sie Emily niemals als Erbin ihres Hauses ansehen würde. Eindeutiger noch, sie verabscheute das Kind zutiefst. Das Kind und seinen Vater, den sie schon vor so langer Zeit gehasst hatte.
    »Mylady Manderley wird ihre Gründe gehabt haben«, meinte ich nur.
    Resigniert und traurig kickte Emily eine weggeworfene Coladose den Gehweg entlang. Die ganze beherrschte Verzweiflung des Kindes wurde in dieser Geste offenbar.
    »Es gibt keine Zufälle«, sagte ich ihr.
    Was hätte ich sonst erwidern können?
    Unterwegs informierte ich Emily über die Dinge, die ich während meines Treffens mit Madame Snowhitepink in Erfahrung hatte bringen können. »Jenseits der Royal Albert Hall«, erklärte ich dem Kind, »finden wir Aurora Fitzrovia.« Skeptisch hatte Emily dies zur Kenntnis genommen.
    Immerhin hatte die Aussicht, ihre Freundin retten zu können, die Schritte des Mädchens beschleunigt. Die behandschuhten Hände tief in den Taschen der blauen Jacke vergraben, die ich ihr damals bei Marks & Spencer erstanden hatte, als Emily Laing auf Anraten Lord Brewsters in mein Leben getreten war, und den alten Rucksack geschultert, den sie als Lohn für ihr mutiges Verhalten während der anfänglichen Lektionen erhalten hatte. Den Fellkragen hatte sie hochgeschlagen, und die roten Haare lugten nur

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