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Die uralte Metropole Bd. 1 - Lycidas

Die uralte Metropole Bd. 1 - Lycidas

Titel: Die uralte Metropole Bd. 1 - Lycidas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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voll war mit Ersatzteilen jedweder Art. Zwischen den skurrilen Formen ragten bunte Kabel aus den Bergen elektronischer Bauteile, die irgendjemand aus uns fremden Gründen hier unten hortete.
    »Fragen Sie gar nicht erst«, sagte ich, als Emily Anstalten machte, den Mund zu öffnen.
    Nahe Monument Station hingen gewaltige Stalaktiten in einer Höhle, durch deren Mitte eine Brücke aus morschem Holz führte, die unter jedem unserer Schritte bedrohlich knarzte und schwankte.
    Der Marsch war beschwerlich.
    Nur mühsam kamen wir voran.
    Mussten oftmals über Berge von Schutt und Abfall klettern, was gerade Emily alles andere als leicht fiel. Noch immer war sie auf die Hilfe Auroras angewiesen. Ließ sich führen.
    Die Sonnenbrille aber trug sie hier unten nicht mehr.
    »Ich sehe doch nur dämlich aus, wenn ich damit in der Dunkelheit herumlaufe.«
    So viel dazu.
    Doch Emily musste nichts sehen können, um zu spüren, dass hier unten etwas nicht stimmte. Dass etwas anders war als sonst. Es war ein Geschmack, den man mit der Luft einatmete.
    »Es ist unheimlich«, brachte Aurora es auf den Punkt.
    Und sie meinte nicht die uralte Metropole selbst.
    »London«, antwortete ich, »verändert sich gerade.«
    Unheil lag in der Luft.
    Förmlich riechen konnte man es.
    In den Tunneln trafen wir kaum Wanderer. Die Stadt unter der Stadt schien sich gänzlich verkrochen zu haben. Es war, als hielte die uralte Metropole den Atem an. Als wage sie nicht, sich zu regen.
    Selbst The Deep war verlassen.
    Das Flussvolk, das die Gegend rund um Blackfriars Station sonst fest im Griff hat, war geflüchtet. Irgendwohin. In versteckte Winkel, die außer den in Lumpen steckenden Gestalten niemand kannte. Zumindest diejenigen, die das Glück gehabt hatten, rechtzeitig aus den Tunneln zu verschwinden. In den Straßen lagen grausam zugerichtete Leichname inmitten der Dinge, mit denen sonst Handel getrieben worden war. Nur noch Müll. Modriges, verfaultes Zeug, den Klauen des dunklen Flusses entrissen. Niemand tauschte es mehr ein gegen andere Dinge, die ebenso wenig gebraucht wurden.
    »Was sehen Sie?«
    Emily spürte, dass hier etwas Schlimmes geschehen war.
    »Nur Tod.«
    Schwer fiel das Wort in die Stille.
    Es war eine Atmosphäre, die uns wachsam werden ließ.
    »Wir werden den Weg nehmen«, hatte ich den Kindern offenbart, »der Ihnen bereits bekannt ist.«
    Begeisterungsstürme hatte ich damit keine ausgelöst.
    Nehallania, die göttliche Kreatur, welche den Eingang zur Hölle bewachte, war den Kindern in allzu guter Erinnerung geblieben. Lucia del Fuego hatte sie damals an diesen Ort geführt. Und wie damals brannten auch jetzt Pechfackeln an den feuchten Wänden des grobschlächtig in den Fels gehauenen Tunnels. Von überall her drang eisiges Wasser durch das Gestein.
    Ein holpriger Pfad, der steil abwärts führte, lag vor uns.
    Emily fiel es schwer, das Gleichgewicht zu halten. Sie suchte in ihrer Erinnerung nach Bildern, die ihr die Orientierung hätten erleichtern können. Was nebenbei bemerkt wenig hilfreich war. Dann dachte sie daran, in Auroras Bewusstsein zu schlüpfen, um wenigstens kurz zu sehen, wo sie sich gerade befand. In Anbetracht der Übelkeit, die sie sich beim ersten Versuch, dies zu tun, eingehandelt hatte, verwarf sie diese Idee jedoch schnell wieder.
    »Sie ist noch da«, flüsterte sie ihrer Freundin zu.
    »Nehallania?«
    »Es stinkt nach Fisch und fauligem Wasser.«
    Nach Fäulnis.
    Diese Umschreibung hätte es besser getroffen.
    »Dinsdale!«, rief ich.
    Aufgeregt.
    Emily schrak zusammen.
    »Wollen Sie Nehallania auf uns aufmerksam machen?«, schimpfte sie erschrocken.
    Dinsdale flog zur Höhlendecke hinauf.
    »Die Fackeln hier vorne sind alle erloschen«, erklärte ich Emily.
    »Und die Spindelhexe?«
    Sie erinnerte sich also an den Namen, den das Flussvolk der Kreatur gegeben hatte.
    »Wird uns keine Schwierigkeiten bereiten«, antwortete ich.
    Mièville merkte an: »So wie es aussieht.«
    Schmutziges Wasser rann die Wände herab und troff von der hohen Decke. Färbte das Felsgestein schwarz. Wabernde Streifen einer andersfarbigen Substanz schlängelten sich durch die Pfützen.
    »Bei den Göttern«, entfuhr es Mièville.
    Emily, die nichts sehen konnte, aber spürte, wie sich Aurora verkrampfte, ahnte Schlimmes.
    Vorsichtig ging ich auf die Kreatur zu, die bis vor wenigen Stunden noch den Eingang zum neunten Kreis der Hölle bewacht hatte. Die spindeldürren Arme standen seltsam verrenkt vom Körper der einstigen

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