Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die uralte Metropole Bd. 1 - Lycidas

Die uralte Metropole Bd. 1 - Lycidas

Titel: Die uralte Metropole Bd. 1 - Lycidas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
Vom Netzwerk:
Göttin ab. Das Gesicht mit dem breiten Maul und den spitzen Zähnen war ohne Ausdruck.
    »Sie ist tot«, stellte ich fest.
    Nüchtern.
    Betroffen.
    »Was ist passiert?«, fragte Emily.
    Aurora beschrieb ihr in wenigen Worten das Bild, das sich uns darbot.
    Der Höhlenboden war bedeckt mit zahllosen in Stücke gerissenen Flusskrebsen. Dazwischen grausam zugerichtete Rattlinge. Lehmklumpen, die noch die Gliedmaßen erkennen ließen, zu denen sie einst geformt worden waren. Das Blut der Göttin, die nie wieder aus den Überresten ihrer Peiniger auferstehen würde, war bereits geronnen in der schlammigen Brühe, die den Boden bedeckte.
    »Es waren Golemkrieger«, stellte Mièville fest. »Mindestens zwei an der Zahl.« Er kniete vor einem kräftigen Arm, der aus Lehm und dem Unrat des Flusses bestand. Fragend sah mich der Tunnelstreicher an. »Ihr seid Alchemist, Wittgenstein. Sagt mir, wie kann es sein, dass diese Kreaturen eine Göttin töten?«
    Ich ließ den Blick durch die Höhle schweifen.
    Die beiden Kinder standen noch immer dort, wo wir den Raum betreten hatten. Am Eingang des Tunnels. Sie hielten einander an den Händen fest und sahen aus wie Schulkinder, die des Morgens an den Gehwegen Schlange stehen und auf den Schulbus warten.
    »Ich bin Alchemist«, gab ich dem Streicher zur Antwort, »und kein Priester.«
    »Dass die Golemkrieger solche Kräfte besitzen, hätte ich niemals gedacht.«
    Wer hatte dies schon?
    »Sie hat gekämpft«, stellte ich fest.
    Dinsdale schwebte oben an der Decke und tauchte die Höhle in ein gespenstisches Licht.
    »Nehallania hat sich gewehrt.« Vorsichtig stieg ich über die Kadaver der Flusskrebse und Rattlinge hinweg. »Gegen diese Übermacht.« Angeekelt gab ich mir Mühe, nicht unbedingt in eine der blutigen Lachen zu treten. »Ein Spähtrupp vermutlich«, murmelte ich gedankenverloren, »der direkt aus der Hölle gekommen ist.« Es mochten etwa drei bis vier Dutzend Rattlinge sein, die hier tot herumlagen.
    »Ihr glaubt, dass sie den neunten Höllenkreis bereits okkupiert haben?« Mièville kniete sich neben den Leichnam eines der Rattlinge und betrachtete die Kreatur eingehend.
    »Fragt bloß nicht«, antwortete ich.
    Schob mich an der toten Göttin vorbei und trat in den Gang ein, der sich hinter ihrem Leichnam auftat. »Dinsdale!«, zitierte ich das Irrlicht herbei, das augenblicklich zur Stelle war und den Tunnel illuminierte, der leicht abfiel. Auch hier plätscherte Wasser von den Wänden. »Niemand da!«, rief ich den anderen zu. Darauf hoffend, dass dies kein Hinterhalt war.
    Damals hatte Lucia del Fuego die beiden Mädchen diesen Weg entlanggeführt. Und ich war ihnen gefolgt. Begleitet von Maurice Micklewhite. Wir hatten die Mädchen aus den Fängen des Lichtlords befreien können. Hatten guten Gewissens die Hilfe der Urieliten angerufen. Und Lycidas dingfest gemacht.
    Erschöpft rieb ich mir die Augen.
    Atmete durch.
    Den ersten Schritt zu dem, was nun um uns her passierte, hatten damals wir getan. Viel früher sogar noch. Als wir Lord Brewster Glauben geschenkt hatten. Da hatte es begonnen. Von jenem Augenblick an hatte der Nyx uns in sein Netz aus filigranen Lügen eingesponnen.
    »Dummheit«, murmelte ich, »wird jedem irgendwann zum Verhängnis.«
    Emily trat neben mich.
    Suchte meinen Mantel und zupfte daran.
    »Was haben Sie da gesagt?«
    »Fragen Sie nicht.«
    Wie lange kannte ich Maurice Micklewhite? Und was bedeuteten all die Jahre der Freundschaft? War dies überhaupt das Wort, das unser Verhältnis angemessen umschrieb?
    »Etwas plagt Sie.«
    Dieses Kind!
    Nie konnte es Ruhe geben.
    Ich warf Aurora Fitzrovia einen bösen Blick zu, der sie schnell zu Mièville hinüberlaufen ließ. Schweigend wartete ich, bis Tunnelstreicher und Mädchen die Spitze unseres kleinen Trupps übernommen hatten.
    »Als ich Maurice Micklewhite zum ersten Mal begegnete«, gestand ich Emily, »war ich noch ein Kind. Ein Junge nur, unerfahren und grün hinter den Ohren.«
    »Sie haben ihm vertraut.«
    »Ja.«
    Erst wenige Wochen hatte ich damals in der Stadt der Schornsteine zugebracht.
    »Er war berühmt«, erinnerte ich mich. »Nun ja, wohl eher berüchtigt.«
    Emily suchte nach meiner Hand.
    »Überall in London erzählte man sich Geschichten über den Elfen, der in Ungnade gefallen war und Jack the Ripper gestellt hatte. Frederick Abberline und Maurice Micklewhite waren die Helden in einer Moritat über den Schlitzer vom Eastend. Und wie Sie sich vorstellen können, war er

Weitere Kostenlose Bücher