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Die uralte Metropole Bd. 1 - Lycidas

Die uralte Metropole Bd. 1 - Lycidas

Titel: Die uralte Metropole Bd. 1 - Lycidas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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und ein Irrlicht. Wittgenstein bringt immer seltsame Freunde mit. Wahrlich, das tut er.« Der Wirt hustete laut in die Faust. »Sind drüben durch den südlichen 83er Abwassertunnel verschwunden.« Er wischte sich die Hand am Hosenbein ab und spülte weiter. »Führt zum Flussvolk, der Tunnel.«
    Und Neil erinnerte sich an Emilys Geschichten. An die sonderbaren Ereignisse, die sich in der Hölle zugetragen hatten. Sie hatte ihm vom Flussvolk in The Deep und dem erzählt, was jenseits davon lag.
    »Du willst da doch nicht hin, Junge?« Der Wirt musterte ihn eingehend. »Rattlinge sind am Fluss gesehen worden.« Er beugte sich über das Waschbecken. »In Rudeln. Man munkelt, dass Hidden Holborn dem Erdboden gleichgemacht wurde. Dunkle Gestalten treiben sich neuerdings dort unten herum. Die Geister von Whitechapel sind erwacht und streifen durch die uralte Metropole. Nicht umsonst hat die Garde ihre Wachen entsandt.«
    Also hatte das begonnen, was Emily immer befürchtet hatte.
    Neil bedankte sich höflich für die Auskunft und verließ King’s Moan auf dem Weg, den man ihm geschildert hatte.
    Er konnte selbst kaum glauben, dass er es gewagt hatte, allein in die uralte Metropole hinabzusteigen. Und doch war er hier, was wohl kaum zu leugnen war. Das alles, um ein Mädchen zu finden. Aurora Fitzrovia, die er kaum kannte. Was dachte er sich nur dabei? Gerade mal eine Taschenlampe hatte er mitgenommen. Nun denn. Immerhin konnte er damit den Weg finden. Von The Deep hatte er bisher nur gehört, denn weder der alte Edward noch er selbst waren jemals dort gewesen. Das Flussvolk, hieß es zumindest in den Büchern, war wenig gesellig. Sammelte und hortete alles, was der dunkle Fluss hergab. Restefresser und Müllsammler waren es.
    Die Frage, ob ihm die Bewohner dieser Gegend freundlich gesinnt wären, erübrigte sich jedoch letzten Endes.
    Denn Neil fand den Ort verlassen vor.
    Schlimmer noch: verwüstet.
    Flussmenschen lagen erschlagen in den brackigen Pfützen und im Schlamm. Die behelfsmäßigen Bretterbuden hatte man berserkerhaft eingerissen. Große Fußabdrücke fanden sich überall. Blut vermischte sich mit dem schmutzigen Wasser, und voller Entsetzen erkannte Neil, dass einige der Toten ausgeweidet worden waren. An den Golem von Whitechapel musste er denken. Zu der Angst, die ihm in alle Glieder gekrochen war, kamen nun noch die Befürchtungen hinzu, den Mädchen könne etwas zugestoßen sein. Es gehörte nicht viel Phantasie dazu, sich auszumalen, wo die Golemkrieger hergekommen waren. Eben aus jener Richtung, in die Neil zu gehen gedachte. Dorther, wo auch Emily und Aurora hingegangen waren!
    Vorsichtig darauf bedacht, kein lautes Geräusch zu machen, ging Neil weiter.
    Flackernde Neonröhren baumelten von der hohen Decke. Zornig zischten sie, wenn das Wasser, das die Wände ausschwitzten, auf sie niedertropfte. Gliedmaßen schauten unter den Trümmern hervor. Auf einer Feuerstelle dampfte noch ein Kessel mit Fischsuppe vor sich hin. Neil hielt sich die Nase zu. Der Angriff musste die Gemeinschaft der Flussmenschen völlig unvorbereitet getroffen haben. Nicht einmal in King’s Moan hatte man etwas von diesem Unglück gewusst, obwohl es eine direkte Verbindung zwischen den beiden Orten gab. Den Abwassertunnel von 1883 nämlich, den Neil genommen hatte, um hierher zu gelangen.
    Mit einem Mal zerriss lautes Scheppern die Stille.
    Schritte!
    Laut.
    Polternd.
    Auch das noch!
    Panisch suchte Neil nach einem Versteck und fand es inmitten eines riesigen Haufens Schutt. Flink kroch er unter die Bretter und die Plastikplane, die einst als improvisiertes Dach für den Marktstand gedient hatte, an dem mit fauligem Obst und Gemüse gehandelt worden war, wie man an den herumliegenden, stinkenden Resten unschwer erkennen konnte. Der Junge versuchte sich zu beruhigen. Das Herz schlug ihm bis zum Hals, und ihm war, als müsse jedes Wesen in dem langen Tunnel das Pochen hören. Ein Held, das wusste er in diesem Augenblick, war er ganz sicher nicht.
    Erneute Schritte.
    Dann: wieder Stille.
    Neil ließ einige Zeit verstreichen, ehe er sich traute, zaghaft aus dem Versteck hervorzulugen.
    Der Golem stand einfach nur da.
    Keine zehn Meter von dem Versteck des Jungen entfernt.
    Regungslos.
    Wartend.
    Mit nur einem Arm, der schlaff an seinem Lehmkörper herabhing.
    Die hünenhafte Gestalt hatte kein Gesicht. Dort, wo der Mund hätte sein sollen, baumelte die Spitze eines Stoffbändchens, das Schriftzeichen erkennen ließ. Unrat aus dem

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