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Die uralte Metropole Bd. 1 - Lycidas

Die uralte Metropole Bd. 1 - Lycidas

Titel: Die uralte Metropole Bd. 1 - Lycidas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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der römischen Ruine. Das Licht, das die Metamorphose der Hymenopteras eingeleitet hatte und Emily beinahe zum Verhängnis geworden war, dieses Licht schien nun für andere. Horuskrieger und Legionäre standen vor dem Abgrund und sahen in die Tiefe. Die vielen Toten hielten sich zusammengedrängt am Rand des Theaters oder auf den Zuschauerplätzen auf, als hätten sie Angst davor, sich unter die Lebenden zu mischen.
    Maurice Micklewhite sagte: »Ich werde es tun.«
    Die Entschlossenheit in seiner Stimme klang aufgesetzt.
    Er sah zum Abgrund hinüber.
    Ein riesiges Loch im Boden, umsäumt von Hymenopteraskadavern.
    Der oberste Horuskrieger trat neben ihn.
    »Wir werden alle dort hinuntergehen.«
    Es war die Stimme eines Raubvogels, der auf der Jagd war.
    »Sind wir bald da?«
    Kinder scheinen dazu auserkoren zu sein, diese Frage zu stellen.
    »Ja.«
    »Sind Sie sicher?«
    Dieses Kind!
    »Nein.«
    Niemals zuvor war ich in dieser Gegend gewesen. Nachdem wir den Angriff der Golems überstanden hatten, waren wir blindlings in den nächstbesten Tunnel gestürmt. Emily hatte sich an meiner Schulter festgeklammert, und ich lief, so schnell mich meine Beine zu tragen vermochten, wobei ich unsicheren Schrittes versuchte, nicht auf dem glatten Untergrund auszurutschen. Dinsdale schwirrte einige Meter vor uns durch den Tunnel, wich mit eleganten Bewegungen den überall herabhängenden Eiszapfen sowie den Querbalken aus, die die Tunneldecke trugen.
    »Was ist mit Aurora passiert?« Nachdem Emily Laing den ersten Schock überwunden hatte, erwachte auch ihr Mundwerk zu neuem Leben. »Sagen Sie mir, ist es tatsächlich Neil gewesen?«
    Ich bat sie, ihren Griff zu lockern.
    »Wenn Sie mich erwürgen, dann werden Sie wieder von ganz alleine laufen müssen.«
    Das Mädchen neigte dazu, sich an der Stelle direkt über meinem Kehlkopf festzukrallen, was weder das Laufen noch das Atmen zu einer angenehmen Tätigkeit machte.
    »Tut mir Leid«, kam es postwendend.
    Und dann …
    »Was ist jetzt mit dem Jungen?«
    Ich sagte es ihr.
    Berichtete ihr davon, dass ich nach unserem Gespräch mit Master Lycidas in der Krypta von St. Paul’s das Irrlicht nach Hidden Holborn zum Wohnheim entsandt hatte, damit es Mièville in meinem Namen um einen Gefallen bat. »Er sollte Aurora und Sie bespitzeln«, sagte ich. »Er sollte vor dem Museum warten und Ihnen beiden in die uralte Metropole folgen.« Unterwegs, berichtete ich weiter, habe er kurz im Raritätenladen vorbeischauen und dem Jungen die gute Neuigkeit bezüglich Aurora mitteilen sollen.
    »Er hat uns vor den Rattlingen bewahrt.«
    »Mièville ist ein guter Mann«, sagte ich.
    Hoffte, dass er nicht den Nekir zum Opfer gefallen war.
    »Woher haben Sie gewusst, dass ich Ihre Anspielung auf King’s Moan verstehe?«
    »Sie sind intelligent.«
    »Oh, danke.«
    »Bitte.«
    »Glauben Sie, dass Aurora und Neil es geschafft haben?«
    »Ich hoffe es.«
    »Er mag sie. Aurora, meine ich.«
    »Das ist mir nicht entgangen.«
    »Ich weiß. Deshalb haben Sie Mièville auch aufgetragen, Neil Trent zu sagen, dass Aurora wieder lebt.«
    Dieses Kind!
    »Sie hat ihm zuliebe ein Buch über Walfänger zu lesen begonnen.«
    »Kann es sein«, fragte sie, »dass Sie sich um das Glück der beiden Gedanken gemacht haben?«
    Ich hielt inne.
    Setzte Emily ab.
    Warf ihr einen strengen Blick zu.
    »Ich denke«, sagte ich, »dass Sie wieder auf eigenen Füßen stehen können.«
    Sie lächelte wissend. »Danke.«
    Mürrisch entgegnete ich: »Mièville hat dem Jungen mit Sicherheit nicht ausgerichtet, dass er hinunter in die Hölle steigen soll.«
    Der Weg, den wir eingeschlagen hatten, verlief laut Dinsdale südwärts. Irrlichter irren nie, wenn es um Pfade geht, wenngleich uns ihr Name dies auch glauben machen möchte.
    Dieser Teil der Hölle wirkte seltsam verlassen. Im hellen Schnee, der als dünne Schicht den Boden bedeckte, fanden sich keinerlei Spuren. Des Irrlichts Glimmen brach sich in den Eiskristallen und zauberte verträumte Lichtspiele an die Wände. Emily, die sich alle erdenkliche Mühe gab, mit mir Schritt zu halten, klammerte sich während der ganzen Zeit an meine Hand. Fast wie Vater und Tochter auf dem Schulweg mussten wir wirken. Welch sonderbarer Gedanke, nebenbei bemerkt. Nun denn! Immerhin war Emily Laing erblindet und auf meine Hilfe angewiesen. Was hätte ich also anderes tun sollen, als sie bei der Hand zu nehmen?
    Seitdem wir von den anderen getrennt worden waren, hatten wir keine Nekir mehr zu Gesicht

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