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Die uralte Metropole Bd. 1 - Lycidas

Die uralte Metropole Bd. 1 - Lycidas

Titel: Die uralte Metropole Bd. 1 - Lycidas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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vernommen hatte.
    Erschrocken verließ Emily Laing mein Bewusstein.
    Ich sah zu Boden, wo das graue Tier mit dem langen Schwanz hockte. Die dunklen Knopfaugen beobachteten mich, wie sie es auch damals getan hatten. Undurchsichtig und berechnend. Am Fuße der Rolltreppe in der Tottenham Court Road hatte die alte Ratte neben einem jungen, kränklich aussehenden, rothaarigen Kind gesessen. Aus Covent Green, das unterhalb von Covent Garden liegt, war ich an jenem Morgen gekommen, hatte einige Heilkräuter und Steine erstanden, von denen ich später einige an die Mädchen verschenken sollte.
    Zufälle gibt es nicht, dachte ich.
    Wir haben einander lange nicht mehr gesehen.
    Emily erinnerte sich beim Klang der piepsigen Stimme an jenen Morgen im Waisenhaus. Unten im kalten Keller war sie gewesen, in Mrs. Philbricks Küche, als die Ratte sie angesprochen hatte.
    »Lord Brewster?«
    Ich glaubte ein Lächeln im Gesicht Seiner Lordschaft zu erkennen.
    Emily ergriff meine Hand.
    Sie spürte es.
    Rattlinge waren überall.
    Zischten bösartig.
    Umzingelten uns.
    Lord Mushroom
, offenbarte uns die alte Ratte,
hat damit gerechnet, dass Sie hier auftauchen würden.
    Allein schon die Fresken an der Decke, deren Farben längst verblasst waren, lehrten die beiden Kinder das Fürchten. Nie zuvor hatte er derart missgestaltete Fratzen gesehen. Wesen, die den tiefsten Albträumen entsprungen sein mochten. Klauen, Fänge und Tentakel, Flügel und Stachel. Verderben, dem ein Gesicht gegeben worden war.
    »Ich bin schon einmal hier gewesen«, flüsterte Aurora.
    Neil setzte alles daran, sich zu beruhigen. Schließlich wollte er vor Aurora nicht als Feigling dastehen. Peinlich genug, dass sie beide sich verlaufen hatten. »Ich weiß«, gab er zur Antwort.
    Versuchte sich als Herr der Lage zu erweisen.
    Was Aurora mit einem Lächeln zur Kenntnis nahm, für das er erneut in die Hölle hinabgestiegen wäre.
    »Das hier«, hatte sie ihn ganz außer Atem geneckt, nachdem er sie vorhin inmitten der Golems gefunden hatte, »ist jedenfalls eine höchst seltsame Art, jemanden zu retten.«
    »Tja.« Etwas Besseres war Neil nicht eingefallen.
    Trotzdem tat Aurora etwas, das sie sich selbst nie zugetraut hätte. Sie drückte dem Jungen aus dem Raritätenladen einen Kuss auf die Wange. Ohne nachzudenken. Spontan. Weil ihr danach war.
    Neil wurde ganz rot im Gesicht.
    Brachte seine Emotionen auf den Punkt: »Oh!«
    In den alten Hollywoodfilmen, die das Programmkino am Leicester Square manchmal zeigte, fiel den Helden normalerweise eine passendere Antwort ein, nachdem sie einen Kuss erhalten hatten. Gregory Peck oder Cary Grant oder Stewart Granger hatte es niemals an Worten gefehlt. Nun ja, dachte Neil, Gregory Peck schon.
    Die Kinder schauten einander an.
    Ratlos, was nun zu tun sei.
    Hatten Schmetterlinge im Bauch, wie man so schön sagt.
    Dann setzten sie die Flucht fort.
    »Wir hatten Glück«, würde Aurora später sagen.
    Und Neil sollte das antworten, was ein geflügeltes Wort war in der uralten Metropole. »Zufälle gibt es keine.«
    Denn nachdem sich die beiden wiedergefunden hatten, war Neil in den erstbesten Gang gestürmt und hatte Aurora einfach hinter sich hergezogen. Nur fort von den abscheulichen Geschöpfen hatte er gewollt, jenen Kreaturen, die Aurora als Nekir bezeichnet hatte.
    Emily ließen sie in der Obhut des Alchemisten zurück, weil ihnen einfach keine andere Wahl blieb. Ein Nekir mit libellenartigen Flügeln, die er an den glänzend gepanzerten Körper angelegt hatte, folgte ihnen. Mit spinnenhaften und äußerst flinken und eleganten Bewegungen stellte er ihnen nach, was Neil bei einer Kreatur dieser Größe niemals für möglich gehalten hätte.
    »Du musst laufen!« Die Stimme des Mädchens überschlug sich förmlich.
    Verzweifelt warf Neil einen Blick zurück.
    Zog Aurora blindlings hinter sich her.
    »Wir werden es nicht schaffen«, keuchte das Mädchen. Bereits früher einmal war sie den Nekir begegnet, und sie wusste, welch schnelle und grausame Jäger diese Insektenartigen waren. Sie erinnerte sich noch gut an die Schlacht in Pairidaezas Kathedrale, als der Lichtlord Nekir und Limbuskinder zugleich herbeigerufen hatte. »Er wird uns kriegen.«
    »Wird er nicht!«
    Außer seiner Entschlossenheit hatte Neil allerdings wenig zu bieten.
    Denn der Nekir war ganz nah.
    Das Tier stieß einen schrillen Schrei aus, der wie nichts klang, was Neil jemals gehört hatte.
    Die Kinder rannten.
    Gaben alles.
    Aurora keuchte.
    Dann war der

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