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Die uralte Metropole Bd. 1 - Lycidas

Die uralte Metropole Bd. 1 - Lycidas

Titel: Die uralte Metropole Bd. 1 - Lycidas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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bekommen. Ebenso waren die Kinder vom Angesicht der Hölle getilgt worden.
    »Warum führt er sie wohl in die Tiefe?« Emily erinnerte sich all der Kinder mit den Spiegelscherben, die ihnen in den Augenhöhlen steckten. Jene Spiegelscherben, die des Lichtlords Augen in der Hölle waren. Wie seltsam, dachte Emily. Verhielt sich der Nyx doch ähnlich. Sah Lycidas durch die Spiegelscherbenaugen der verlorenen Kinder, so blickte der Nyx durch der Rattlinge geschlitzte Augen auf die uralte Metropole und auf London.
    »Er hat einen Plan«, antwortete ich. »Einen Plan, den er uns noch nicht völlig offenbart hat.« Der Lichtlord liebte eben Geheimnisse. Letzten Endes lief es wieder darauf hinaus, dass er seinen eigenen Vorteil suchte.
    »Glauben Sie, dass der Plan gelingen wird?«
    »Ich hoffe es«, antwortete ich. »Für uns alle.«
    Nicht auszudenken, was geschähe, sollte der Nyx siegreich sein.
    »Was wird uns in Blackheath erwarten?«, fragte Emily weiter.
    »Für jemanden, der beinahe von einem Golem erwürgt worden ist, sind Sie sehr geschwätzig.«
    »So bin ich eben.«
    Mürrisch musterte ich sie von der Seite.
    Emily blieb kurz stehen, drehte den Kopf in meine Richtung. »Das habe ich gesehen.«
    Ich konnte mir ein Lächeln nicht verkneifen.
    »Und das auch.«
    Sie lächelte zurück.
    Mittlerweile, dachte ich, kennt sie mich ausgezeichnet.
    Es tat Emily gut, zu reden. Einfach nur Konversation zu betreiben. Denn insgeheim fühlte sie sich einsam, vermisste Aurora Fitzrovia und auch Neil Trent. Außerdem musste sie fortwährend an ihre kleine Schwester denken, suchte in Gedanken die uralte Metropole nach einem Lebenszeichen ab, doch fand nicht das Geringste. Ihr geschultes Trickstertalent müsste doch ausreichen, das Kind zu finden, sagte sie sich andauernd. Erinnerte sich daran, dass sie damals, als sie zum ersten Mal in die Stadt unter der Stadt geführt worden war, mühelos den Zugang zu Mara gefunden hatte. Und auch später, in der Dachkammer bei den Quilps, hatte sie über London hinweg immer ein Auge auf ihre kleine Schwester werfen können.
    »Sie denken immerfort an sie, habe ich Recht?«
    »Woher wissen Sie das?«
    »Gut geraten«, antwortete ich.
    Schweigsam ließ Emily einige Augenblicke vergehen.
    »Sie darf nicht tot sein.« Ihre Stimme malte aus den Tränen, die das Mädchen zurückhielt, eine leise Melodie.
    »Es gibt keine Zufälle«, sagte ich ihr.
    Zuversichtlich.
    »Sie glauben, dass sie noch lebt?«
    Ich gab ihr die Antwort, die ich ihr immer gegeben hatte. »Wäre ich sonst hier?«
    Der Tunnel wurde breiter.
    Die Balken, die in dieser Höllenregion Decke und Wände stützten, waren neueren Datums. Zweifelsohne. Die Katakomben, durch die wir uns bewegten, mussten also erst vor kurzer Zeit gegraben worden sein. Die Wände waren mit einem Mal pechschwarz, ebenso wie die Erde, die der Gegend im London über uns ihren Namen gab. Schwarze Erde, schwer und nass vom vielen Regen. Eine dunkle Heidelandschaft war es einst gewesen. Blackheath hatte man die Gegend getauft. In der Hölle war Blackheath ein Ort, wo selbst das Eis schwarz war und eine dunkle Blaufärbung aufwies. Wir mussten also den dunklen Fluss längst hinter uns gelassen haben. Dabei waren wir gar nicht so lange unterwegs. Nun denn. Mit der Zeit ist es eben so eine Sache in der uralten Metropole.
    »Sind wir bald da?«
    Ich gebot dem Mädchen zu schweigen.
    »Mushroom Manor muss ganz nahe sein«, sagte ich.
    Zumindest hatten wir Blackheath betreten.
    Skurrile Eisblumen wuchsen hier unten. Schwarze Blüten reckten sich überallhin und bedeckten ganze Wände. Mit einer Mischung aus Lianen und Efeu hatten wir es hier zu tun, allerdings mit schattenhaften Abarten dieser Pflanzen, die sich vom Blut unvorsichtiger Wanderer nährten. In ständiger Bewegung waren die Eisblumen, sodass uns dauernd ein Rascheln in den Ohren lag. Ich warnte Emily vor diesen Pflanzen und gebot ihr, dicht neben mir zu gehen. Hatten Eisblumen erst einmal Witterung genommen, so war es sehr schwer, ihnen zu entkommen. Und in dem Tunnel, der vor uns lag, wimmelte es nur so von ihnen.
    »Jemand muss die Blumen angepflanzt haben«, erklärte ich dem Mädchen.
    »Damit sie den Tunnel bewachen?«
    »Möglich.«
    Vorsichtig und mit langsamen Schritten schlichen wir an den Eisblumen vorbei, von denen manche neugierig die schwarzen, mit filigranen Stängeln versehenen Blüten in unsere Richtung reckten. Ihre feinen Wurzeln spalteten das Eis, das die Wände bedeckte, sodass sich

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