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Die uralte Metropole Bd. 1 - Lycidas

Die uralte Metropole Bd. 1 - Lycidas

Titel: Die uralte Metropole Bd. 1 - Lycidas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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Skulptur. »Tausend kleine Bisse.«
    »Stimmt das?« Ganz bleich war Aurora um die Nasenspitze herum geworden.
    Maurice Micklewhite nickte nur.
    »Was machen wir denn jetzt?«, fragte das Mädchen ängstlich.
    »Abwarten«, sagte ich. »Die Arachniden sind den Menschen freundlich gesinnt.«
    Aurora hoffte, sich verhört zu haben. »Wir sind hier, um Spinnen zu treffen?«
    »Fürchten Sie die Achtbeiner?«, stellte ich die Gegenfrage.
    »Ich hasse Spinnen.«
    »Dann sollten Sie das für sich behalten«, riet der Elf. »Es sind stolze Wesen. Wir sollten es vermeiden, sie zu beleidigen.« Er sah Aurora eindringlich an. »Das wäre außerordentlich unhöflich.«
    Verwirrt beäugte Aurora die Schatten.
    Emily kniete unterdessen neben dem Leichnam des Wolfes. Sie hatte ihre Hand ausgestreckt und traute sich dennoch nicht, die kümmerlichen Überreste des schwarzen Fells zu berühren. »Er sieht aus wie ein ganz normaler Junge«, sagte sie nachdenklich. »Bis auf diese Fellbüschel hier.«
    »Wölfe sind innerlich behaart«, sagte ich.
    »Was meinen Sie damit?«
    »Man sieht ihnen nicht an, dass sie Wölfe sind. Ein Lykanthrop kann im Supermarkt neben Ihnen stehen, und Sie sehen einen netten Menschen vor sich. Sie sind Jäger aus alter Zeit, und eigentlich sind sie nicht einmal böse. Sie sind nur das, was sie sind. Sie tun, was ihre Natur ist.«
    Emily verstand. »Er tut mir Leid«, sagte sie. »Er ist so einsam gewesen.«
    Ich trat neben sie und legte ihr eine Hand auf die Schulter.
    Sie sah zu mir auf. Tränen rannen ihr aus den Augenwinkeln. Tränen, die sie beschämt wegwischte.
    »Es ist vorbei«, stellte ich nachdrücklich fest. »Er hat gelebt, wie es seine Natur ist. Er ist gestorben, weil die Wildnis es so wollte. Dinge passieren nun einmal, auch schlimme Dinge. Sie, Miss Emily, haben den Tod mit ihm gemeinsam empfunden. Er ist nicht einsam gestorben.«
    »Er hat meine Gegenwart gespürt, meinen Sie?«
    »Möglich.«
    Dann lenkte uns eine flinke Bewegung am Rande der Schatten ab.
    »Was war das?« Mit einem Mal war Aurora wieder hellwach.
    Etwas winzig Kleines krabbelte über den Boden und verschwand in den lang gezogenen Schatten unterhalb der großen Skulptur.
    »Dinsdale!« Maurice Micklewhite rief das Irrlicht herbei, und flink huschte es zu besagter Stelle.
    »Eine Puppe!« Es war Aurora, die das Spielzeug entdeckte.
    Unser aller Blicke richteten sich auf die kleine Puppe, die dort auf dem schmutzigen Boden lag. Sie trug ein rotes Kleidchen und hatte ein schneeweißes Porzellangesicht. Lange Wimpern bedeckten die hellblauen Puppenaugen, die weit geöffnet zur hohen Decke starrten.
    Aurora näherte sich ihr nur langsam. »Sie ist wunderschön«, stellte sie fest und hob die Puppe zaghaft hoch. Als sie dies tat, löste sich der Haarschopf vom Kopf der Puppe und fiel zu Boden.
    Maurice Micklewhite warf mir einen viel sagenden Blick zu.
    Aurora drehte die Puppe, an deren Hinterkopf, wie man nun erkannte, ein großes, zackiges Loch klaffte. Im hohlen Puppenkopf hockte eine dicke, fette Kreuzspinne inmitten eines dürftig gespannten Netzes. Als Aurora sie bemerkte, schrie sie laut auf und ließ die Puppe instinktiv fallen. Die Kreuzspinne verließ ihre Behausung und krabbelte über den Boden.
    »Wir grüßen Sie«, sagte Maurice Micklewhite schnell und verneigte sich.
    Emilys Blick folgte der kleinen Spinne.
    Aurora trat angeekelt neben ihre Freundin und klammerte sich an deren Arm fest.
    »Was ist das nur?«, flüsterte sie ängstlich.
    Jetzt bemerkte es Emily ebenfalls.
    Die Wände bewegten sich. Es war, als würde das Abbild der Wände unscharf, als verschwämme es vor ihren Augen. Mit einem Kribbeln auf der Haut erkannte Emily, was da vor sich ging.
    Auch ich sagte: »Wir grüßen Sie.« Verneigte mich.
    Befahl den Mädchen, es mir gleichzutun.
    Hunderte kleiner Spinnen krabbelten von den Wänden auf den Boden vor uns, wurden zu einem undurchdringlichen Teppich schwarzer Leiber. Es gab schlanke Weberknechte und behaarte Kellerspinnen, fette Kreuzspinnen und Schwarze Witwen, nass glänzende Wasserspinnen und einige unbekannte Spezies, die nie das Licht der Oberwelt erblickt hatten, geboren im Dunkel der Abwasserkanäle. Die Spinnen krabbelten übereinander, formten einen Klumpen, der langsam nach oben wuchs. Immer mehr Spinnen kamen aus den Schatten, wuselten zwischen unseren Füßen hindurch, ergossen sich auf den Boden vor uns. Der Klumpen wuchs und wuchs, und dann schließlich erkannte Emily, auf was dieses

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