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Die uralte Metropole Bd. 1 - Lycidas

Die uralte Metropole Bd. 1 - Lycidas

Titel: Die uralte Metropole Bd. 1 - Lycidas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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Qumrankugel«, sagte Maurice Micklewhite und überreichte das gute Stück dem Earl, der sie mit seiner krallenhaften Hand schnappte und in seinem Gewand verschwinden ließ.
    »Besiegelt!«
    Der Tausch war beendet.
    Es gab keinen Grund, länger dort zu verweilen.
    Wir kehrten zurück zum Marktplatz, wo Dinsdale das Irrlicht auf uns wartete, und zogen von dannen, ließen den Ravenscourt hinter uns und machten uns auf den Weg nach Chelsea, zur Gabel der Arachnida.
    Emily und Aurora hatten während der gesamten Transaktion kaum ein Wort gesprochen. Man konnte jedoch erkennen, wie sie mittels ihrer Blicke miteinander kommunizierten. Sie kannten einander gut, und da man im Waisenhaus auch nie viel der Worte hatte verlieren dürfen, waren die beiden geübt darin, allein ihre Blicke sprechen zu lassen. Beide Mädchen versuchten sich ein Bild von der Lage zu machen. Und wenn Waisenkinder eines mit Sicherheit nicht sind, dann leichtgläubig. Zu viele schlechte Erfahrungen, zu viel missbrauchtes kindliches Vertrauen.
    In der Nacht hatte Emily ihren Gedanken nachgehangen. Sie war zwar jung an Jahren, aber nicht arm an Scharfsinn. Insgeheim zählte sie jene Dinge erneut auf, die sie während der letzten Tage erfahren hatte, und etwas schien ihr dabei unstimmig zu sein. Sie fragte sich, weshalb ein Glasauge die Fähigkeit des Sehens derart verstärken konnte. Ihre kleinen Finger hielten das Auge fest, umspielten es, streichelten es.
    Wie seltsam, dass dieses gläserne Ding ein Teil ihrer selbst geworden war, damals, als Mr. Meeks ihr den Rohrstock ins Gesicht geschlagen hatte. Sie wusste noch genau, was sie gefühlt hatte. Zuerst war es Überraschung gewesen, der Schmerz in ihrem Kopf, der auf einmal stärker wurde, dann wurde sie ruhig, bemerkte die glibbrige Flüssigkeit, die ihr über die Wange lief, tastete danach und sah das Blut, merkte, dass sie
anders
sah als noch wenige Augenblicke zuvor, dass der Raum eine Dimension verloren hatte, die Küche vor ihr zu verschwimmen begann, hörte den Schrei Mrs. Philbricks und die unsäglichen Flüche des Hausmeisters. Das alles schien ihr so lange her zu sein. Selbst das Waisenhaus schien lediglich einem dunklen Traum entsprungen zu sein.
    Jetzt bewegte sie sich durch eine Welt, in der es Werwölfe und Irrlichter gab, Spinnen und Rabenmenschen, Gatemen und Elfen und was immer noch kommen mochte. Nicht zu vergessen die sprechenden Ratten.
    Ein Teil von ihr hatte keine Mühe, diese Dinge als Wirklichkeit anzuerkennen. Jedoch sträubte sich die andere Hälfte ihres Selbst dagegen, dies alles einfach so hinzunehmen.
    Deshalb wanderte sie bangen Herzens durch die uralte Metropole, folgte den beiden Männern, der eine ganz in Schwarz gekleidet, der andere ganz in Weiß. Konnte sie ihnen vertrauen?
    »Ich traue ihnen nicht«, hatte Aurora ihr zugeflüstert.
    Nun denn.
    Die Vision hatte Emily geschwächt und geängstigt. Die Bilder, die vor ihrem geistigen Auge erschienen waren, hatten so echt ausgesehen. Kopfschmerzen hatte sie zudem davon bekommen.
    Wieso konnte sie diese Dinge tun? War ihre Mutter tatsächlich eine Elfe gewesen? Lebte sie sogar noch und wartete auf ihre Tochter? Unwahrscheinlich, korrigierte sie sich. Die Elfenfrau hatte sie fortgegeben, aus welchem Grund auch immer. Sie hatte sich ihrer entledigt wie einer alten Sache, für die sie keine Verwendung mehr hatte. Das Schicksal, das alle Waisenkinder teilten.
    »Erzählen Sie mir von Ihren Eltern?«
    Gerade passierten wir einen Abwasserkanal, der nicht besonders gut roch, aber eine Abkürzung auf unserem Weg darstellte. Wir Erwachsenen gingen gebückt, um nicht mit den Köpfen gegen die ständig Wassertropfen gebärende Decke zu stoßen. Fackeln, die in aus den Wänden ragenden, gusseisernen Haltern steckten, beleuchteten den Weg.
    Eng hatte ich den Mantel um mich geschlungen.
    Ein eisiger Wind wehte uns entgegen.
    »Es gibt da nicht viel zu erzählen.«
    Emily betrachtete mich eingehend. »Das stimmt nicht.«
    »Einst war ich ein Waisenkind, Miss Laing«, gestand ich. »Die Menschen, die mich aufnahmen, waren einfache Menschen. Ein Arbeiter und eine Näherin vom Moray Firth in Schottland. Doch kam der Tag, wo meine Andersartigkeit offenkundig wurde. Von da an änderten sich die Dinge.«
    Aurora lauschte.
    Beobachtete mich argwöhnisch.
    »Die Menschen fürchten sich nun einmal vor allem Andersartigen und verlieren keine Zeit dabei, es zu verdammen.« Ich erinnerte mich nur ungern. »Kinder sind grausam und in ihrer

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