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Die uralte Metropole Bd. 1 - Lycidas

Die uralte Metropole Bd. 1 - Lycidas

Titel: Die uralte Metropole Bd. 1 - Lycidas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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wenigen Minuten kraftlos in die Manteltasche des Elfen gesunken war. Der Angriff auf die Nekir, um dem Elfen den Weg freizubrennen, hatte dem Irrlicht sämtliche Kräfte geraubt. So war Maurice Micklewhite einige Stunden durch das unterirdische Labyrinth geirrt, immer seinem Instinkt folgend und die Nekir und selbst die Kinder mit den Spiegelscherbenaugen meidend, um schließlich erschöpft das nächtliche London zu erblicken.
    Er entstieg der Hölle an dem Flussufer, an dem auch Rotherhithe lag, nicht allzu weit entfernt von dem Waisenhaus, wo alles begonnen hatte. Die eisige Nachtluft tat seinen Lungen gut und weckte neue Kräfte in ihm.
    In New Cross bestieg er die East London Line, die ihn bis hinauf nach Whitechapel brachte, von wo aus er die Hammersmith & City Line zur Liverpool Street nahm. Hier stieg er in die Central Line um und fuhr zum Britischen Museum.
    Der Pförtner des Museums musterte ihn verwundert.
    Blutspuren und Schmutz verunzierten den einst blendend weißen Pelzmantel des Elfen. Nichtsdestotrotz ließ der junge Mann ihn ein, und Maurice Micklewhite eilte schleunigst hinauf in die Bibliothek, wo er auf eine aufgeregte Ratte traf.
    Wo sind die anderen?
, piepste Mylady Hampstead.
    Außer Atem entgegnete der Elf: »Ich habe sie verloren.«
    Das Gesicht der Rättin verfinsterte sich.
Dann
, so sagte sie,
können wir nur hoffen.
    Und beide wussten, welch dünn gesponnener Faden die Hoffnung sein konnte.
    In meiner frühesten Erinnerung sind Steine immer untrennbar verbunden mit fließendem Wasser. Das Wasser ist das Leben und umfließt die Steine, schmeichelt ihrer Oberfläche und verhilft dazu, die innere Schönheit nach außen zu kehren. In meiner frühesten Erinnerung sitze ich am Bach hinter dem Haus meiner Zieheltern und betrachte die Wellen, die das Wasser schlägt, wenn es sich an den großen Steinen bricht. Das Wasser ist das Leben, und nur in Verbindung mit dem Wasser entfalten die Steine ihre wahren Heilkräfte.
    Auf dieses Wissen gründete sich der Hoffnungsschimmer in den Augenblicken unserer hastigen Flucht. Wohlgemerkt der einzige, der sich uns auftat.
    Emily Laings lebloser Körper lag schwer in meinen Armen, während ich den Tunnel hinabrannte und versuchte, auf dem vereisten Boden das Gleichgewicht zu halten. Neben mir rannte Aurora Fitzrovia her, die dunklen Augen schreckgeweitet, die Blicke in alle Richtungen schweifen lassend und die einstmals dunkle Haut von ängstlicher Blässe gezeichnet. Die Haare hingen uns allen strähnig und wirr ins Gesicht, und die eisige Kälte brannte uns auf der Haut, ließ die Augen tränen und selbst den Atem im Hals schmerzen.
    Hinter uns war nichts zu hören.
    Eine unheilschwangere Stille hatte sich über das Höhlensystem gelegt.
    Nachdem wir einige Kreuzungen passiert und Wendungen der Stollen hinter uns gelassen hatten, war das Schlachtgetümmel weit hinter uns verstummt. Die Schreie der sterbenden Ratten und die zischenden Laute der zerquetschten Spinnenkrieger, vermischt mit dem raubvogelartigen Kreischen der Limbuskinder, lagen uns jedoch immer noch in den Ohren.
    Eines der letzten Bilder, das sich mir geboten hatte, war ein wahrhaftiges Schneegestöber gewesen, in welches die große Kuppel zerborsten war. Das Eis hatte sich von der Decke gelöst, und unzählige Kristalle wirbelten durch den großen Raum. Überall waren auf einmal die Kinder des Limbus aus den Lüften herniedergestürzt und hatten berserkerhaft gewütet.
    Der Lebensbaum, der blutige Kadaver des Wyrms und die gegenüberliegende Kuppelwand waren in einer Wolke aus großen bis hin zu unendlich winzigen Leibern der Limbuskinder verschwunden.
    Ich hatte der Worte meiner Mentorin gedacht.
Konzentriere dich auf das Wesentliche
, hatte Mylady Hampstead mir damals eingeschärft.
Schärfe deinen Blick und zügle deine Gefühle.
    Wir mussten die Hölle verlassen, so schnell wie möglich.
    Also hatte ich Emily gepackt und ihrer Freundin aufgetragen, mir zu folgen.
    Pochenden Herzens flohen wir, was das Zeug hielt.
    Doch gab es ein weitaus dringlicheres Problem, als die Hölle zu verlassen.
    Emily Laing benötigte Medizin.
    Das Gift des Nekir färbte bereits die Adern unter der bleichen Haut des Kindes grünlich. Schon Augenblicke nach dem Einstich war sie unfähig, auch nur ein einziges Wort zu stammeln.
    »Sie müssen Emily retten«, bat mich Aurora.
    Worin ich ihr nicht zu widersprechen gedachte.
    Emily Laing war der Schlüssel zum Gelingen unseres Plans.
    Sie in Sicherheit zu bringen

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