Die uralte Metropole Bd. 1 - Lycidas
unsicheres »Oder?« hinzu.
»Für mich sieht es eher so aus, als habe ihn bereits jemand geöffnet.«
Die Kuppel implodierte in einer Wolke aus Schatten und Staub und Eis.
Es war, als schneite es.
Feines Eis regnete auf die Kämpfenden herab. Die Schlacht wurde in einem Schneegestöber fortgeführt, als sei die Kuppel eine Glaskugel, die jemand kräftig geschüttelt hat.
Maurice Micklewhite sah verzweifelt in unsere Richtung.
Emily hob die Hand und winkte ihm zu. Dann deutete sie auf die Tunnelöffnung, hinter der sie ihre Schwester vermutete.
Der Elf richtete den Daumen himmelwärts.
»Er hat den Wink verstanden«, seufzte Emily erleichtert und folgte den geschmeidigen und überaus flinken Bewegungen unseres Freundes, der begleitet vom flammenden Dinsdale auf den bezeichneten Ausgang zustürmte. Erst jetzt bemerkte Emily die kämpferischen Qualitäten des Irrlichts. Wie ein winziges Flammenschwert schoss Dinsdale durch die Meute angreifender Nekir und fügte diesen schwerste Verbrennungen zu.
Auch Maurice Micklewhite war sich der neuen Kreaturen bewusst.
Die Kinder des Limbus befreiten sich endgültig aus dem Felsgestein, das sie bisher noch zurückgehalten hatte. Ghule mit schwarzen Schwingen, um ein Vielfaches scheußlicher als die Nekir, erhoben sich in die Lüfte, während die nicht-beflügelten Limbuskinder in die Tiefe sprangen, um sich dort sofort auf die Ratten und Arachniden zu stürzen. Binnen weniger Augenblicke war klar, dass wir dieser Übermacht nicht gewachsen sein würden.
»Wir müssen verschwinden«, drängte ich die Kinder.
»Aber meine Schwester.«
Emily war verzweifelt.
Sie konnte diesen Ort nicht ohne die kleine Mara verlassen.
»Wir können sie doch nicht hier lassen. Bei diesen … Dingern.«
Oh, dieses Kind!
»Wir haben keine Wahl«, sagte ich hastig.
»Doch, die haben wir.« Ohne eine Reaktion meinerseits abzuwarten, rannte sie los.
Aurora schrie: »Emmy!«
Doch Emily hörte weder auf ihre Freundin noch auf mich.
Sie musste zu ihrer kleinen Schwester gelangen und sie aus dem Käfig befreien. Schließlich hatte sie deren Verzweiflung und Angst gefühlt. Doch nicht nur das. Da war noch etwas anderes gewesen. Mara war sich ihrer großen Schwester bewusst gewesen. Emily hatte die Zuversicht des kleinen Mädchens gespürt. Instinktiv hatte Mara ihr vertraut. Sie spürte, dass die große Schwester sich auf den Weg gemacht hatte, um sie zu retten. Und wie alle kleinen Schwestern vertraute auch Mara Mushroom darauf, dass ihre große Schwester die Dinge zurechtrücken und sie vor allem Übel bewahren würde.
Emily erinnerte sich des glücklichen Lächelns im zarten Gesicht ihrer schlafenden und träumenden Schwester. Im Saal der Neuzugänge war es gewesen, damals, als sie Mara nach den mahnenden Worten der Ratte aufgesucht hatte. Damals – nur wenige Tage war dies her.
Sie musste ihr einfach zu Hilfe eilen.
Mara war ihre Schwester.
Irgendwie musste sie es schaffen, durch das Getümmel aus Ratten und Spinnen und Nekir auf die andere Seite der Höhle zu gelangen. Mara brauchte sie. Viel wichtiger jedoch war für Emily die Tatsache, dass Mara darauf vertraute, dass die große Schwester es schaffte.
Sie durfte einfach nicht versagen.
Nicht hier.
Und jetzt.
Sie gewahrte einen Schienenstrang, der durch die Höhle führte. Gleich hinter dem toten Nekir stand eine rostige Lore. Sie musste nur in diese hineingelangen und die Bremse lösen, dann könnte sie mit etwas Glück bis zum anderen Ende der Höhle rollen.
Emily lächelte.
Endlich hatte sie einen Plan.
Für einen kurzen Augenblick fühlte sie sich unbesiegbar. Sie würde die kleine Mara retten, und alles würde gut werden. Sie hatte einen Weg entdeckt, der den Erwachsenen bisher verborgen geblieben war, und dafür lobte sie sich insgeheim. Sie würde es schaffen.
Dann spürte sie den stechenden Schmerz und schrie verzweifelt auf, als es sie von den Füßen riss.
»Mein Gott, Emmy!« Aurora rannte auf ihre am Boden liegende Freundin zu.
Emily hatte es gerade einmal geschafft gehabt, zwischen den langen Beinen des toten Nekir hindurchzukriechen, als sie der zuckende, Gift träufelnde Stachel des Wesens erwischte, sich in ihren Rücken bohrte und ihren Körper gegen einen der Stützpfeiler schleuderte. Plötzlich war da ein Schmerz, wie Emily ihn niemals zuvor verspürt hatte. Blut rann ihr über das Gesicht, tropfte auf das Eis unter ihr. Der Stachel zog sich, einem uralten Reflex folgend, zurück und hinterließ eine
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