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Die Urth der Neuen Sonne

Die Urth der Neuen Sonne

Titel: Die Urth der Neuen Sonne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gene Wolfe
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Häusern Brennstoff und Glut für mehrere kleine Feuer. Trotzdem kroch mir die Kälte vom Boden in die Beine und machte sie ganz steif.
    Unsere einzige Hoffnung war, wie mir schien, mehr Ausdauer als diese Leute aufzubringen und länger die Nerven zu behalten. Als ich indes ihre Gesichter studierte, bloße Masken, mit ockergelbem Lehm beschmierte, hölzerne Masken, merkte ich, daß sie ein ganzes Jahr aushielten, von einer kurzen Sommernacht ganz zu schweigen.
    Wenn ich nur ihre Sprache fließend beherrschte, so überlegte ich, könnte ich ihnen entsprechende Furcht einjagen oder wenigstens erklären, was ich wirklich meinte. Die Worte – Wörter leider nicht ihrer, sondern meiner Sprache – dröhnten mir durch den Kopf, so daß ich mir unwillkürlich Gedanken dazu machte. Wußte ich selbst denn, was die Worte bedeuteten? Was diese oder andere zu bedeuten hätten? Gewiß nicht.
    In meiner Verzweiflung und getrieben vom gleichen unstillbaren Drang zu steriler Selbstdarstellung, der mich bewegt hatte, die Geschichte zu schreiben und zu überarbeiten, die ich mit Meister Ultans Bibliothek vermodern und versinken ließ und die ich bald darauf ins Nichts hinauswarf, fing ich zu gestikulieren an, um meine Geschichte abermals zu erzählen, diesmal freilich ohne Worte. Meine Arme wiegten den Säugling, der ich gewesen war, planschten hilflos im Gyoll, bis die Undine mich rettete. Niemand hinderte mich, und nach einer Weile stand ich auf, um auch die Beine einzusetzen und pantomimisch die bald leeren, bald vollgestopften Korridore des Hauses Absolut zu durchwandern und als Streitroß zu galoppieren, das in der Dritten Schlacht von Orithyia unter mir gestorben war.
    Mir war, als hörte ich Musik; und bald hörte ich sie in der Tat, denn viele der Männer, die gekommen waren, als der Schamane und Hetman ihre Reden hielten, summten nun und stampften dazu im Takt, ob mit dem Schaft des Speers, der eine steinerne Spitze hatte, oder mit dem Stiel des Breitbeils aus Geweihschaufeln. Einer spielte dazu auf einer Nasenflöte, deren schrille Töne mich umschwirrten wie Bienen.
    Bald fiel mir auf, daß einige Männer zum Himmel schauten und sich in die Seiten stupsten. In dem Glauben, sie hätten das erste Grau des nahenden Tages entdeckt, schaute auch ich. Aber ich sah nur Kreuz und Einhorn aufgehen, die Sterne des Sommers. Schamane und Hetman warfen sich vor mir in den Staub. In dem Moment, was für ein großes, größtes Glück, schaute die Urth zur Sonne. Mein Schatten fiel auf die Erniedrigten.
     

 
Dunkelheit im Haus des Tages
     
    Die große Frau und ich zogen ins Haus des Schamanen ein und erhielten das beste Zimmer. Ich durfte von nun an nicht mehr arbeiten. Die Kranken und Versehrten wurden mir zum Heilen gebracht; manche heilte ich, wie ich Declan geheilt hatte oder wie wir von der Zunft das Leben von Klienten zu erhalten gelernt hatten. Andere starben in meinen Armen. Vielleicht hätte ich auch die Toten wiedererwecken können, wie ich den armen Zama wiedererweckt hatte; allein ich versuchte es nicht.
    Zweimal wurden wir von Nomaden angegriffen. Der Hetman fiel beim ersten Angriff, ich sammelte seine Krieger, und wir schlugen die Nomaden zurück. Ein neuer Hetman wurde ernannt, aber er schien sich nur für den Ersten meiner Untergebenen zu halten, als was er auch von seinem Volk betrachtet wurde. Beim zweiten Angriff führte ich die Männer ins Schlachtfeld, während er mit einer kleinen Schar ausgesuchter Bogenschützen den Nomaden in den Rücken fiel. Gemeinsam trieben wir sie zusammen und schlachteten sie ab wie Schafe, woraufhin wir nicht wieder belästigt wurden.
    Bald machten sich die Leute an ein neues Bauwerk, das alles Dagewesene bei weitem übertraf. Obwohl es sehr dicke Mauern und ein starkes Gewölbe erhielt, befürchtete ich, daß sie einer so wuchtigen Last wie einem Dach aus Lehm und Stroh nicht standzuhalten vermochten. Also lehrte ich die Frauen, Dachziegel zu brennen, wie sie ihre Tonwaren brannten, und damit ein Dach zu decken. Nachdem das Bauwerk vollendet war, erkannte ich das Dach wieder, auf dem Jolenta sterben sollte, und wußte, daß ich darunter begraben werden sollte.
    Auch wenn man mir nicht glauben wird, so habe ich vor dieser Zeit selten an die Undine oder die Richtungen gedacht, die sie mir gewiesen hatte, kehrte ich in meinen Gedanken doch lieber zur Urth der Alten Sonne zurück, wie sie sich in meiner Kindheit oder Autarchenzeit darstellte. Nun erforschte ich jüngere Erinnerungen, denn

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