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Die Urth der Neuen Sonne

Die Urth der Neuen Sonne

Titel: Die Urth der Neuen Sonne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gene Wolfe
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Wasser in den Lehmtrog spritzte.
    Sie riefen mir zu in einer Sprache, die mir fremd war, aber hielten mich nicht auf. Ich winkte ihnen und ging weiter, wobei ich mich wunderte, daß sie ihre Felder bewässerten, hatte ich unter den Sternbildern der letzten Nacht doch Crotali gesehen, die Wintersterne, die frostklirrende Tage ankünden.
    Ich passierte knapp zwei Dutzend solcher Schöpfräder, ehe ich zur Stadt gelangte, zu der eine steinerne Treppe vom Wasser führte. Schwatzhafte Frauen kamen dorthin, um zu waschen und ihre Krüge zu füllen. Sie machten große Augen, und ich breitete die Hände aus, um zu zeigen, daß ich unbewaffnet war, obwohl diese Geste angesichts meiner Blöße überflüssig war.
    Daraufhin redeten die Frauen in einer rhythmischen Sprache aufeinander ein. Ich deutete auf meinen Mund, um zu bezeigen, daß ich hungrig war, und eine hagere Frau, etwas größer als die übrigen, reichte mir ein altes derbes Tuch, das ich mir um die Lenden binden sollte, denn Frauen sind überall ziemlich gleich.
    Wie die Männer, denen ich begegnet war, hatten auch die Frauen kleine Augen, schmale Münder und breite flache Wangen. Es dauerte einen Monat oder länger, bis ich verstand, warum diese so ganz anders auf mich wirkten als die Autochthonen, die ich auf dem Jahrmarkt vom Saltus, auf dem Markt von Thrax und anderswo gesehen hatte, obwohl sie sich nur insofern unterschieden, als sie ihren Stolz hatten und weit weniger gewalttätig waren.
    Die Schlucht war an der Treppe breit und bot keinen Schatten. Als ich sah, daß mir die Frauen nichts zu essen brächten, stieg ich die Stufen empor und ließ mich im Schatten eines Steinhauses auf dem Boden nieder. Nun bin ich versucht, hier alle möglichen Überlegungen einzuflechten, die ich eigentlich erst während meines späteren Aufenthalts in der steinernen Stadt anstellte; in Wahrheit nämlich dachte ich seinerzeit an gar nichts. Ich war hundemüde und ausgehungert, und ich hatte Schmerzen. Allein der Schatten und das Sitzen waren eine Wohltat.
    Später brachte mir die große Frau ein Fladenbrot und einen Krug Wasser; beides stellte sie drei Ellen außerhalb meiner Reichweite ab und eilte davon. Ich aß das Brot und trank das Wasser und schlief in jener Nacht im Straßenstaub.
    Am nächsten Morgen spazierte ich durch die Stadt. Die Häuser waren aus Flußstein und einem Mörtel aus Lehm gebaut. Die nahezu flachen Dächer wurden von schwachen Balken getragen und waren mit einem Gemisch aus Lehm und Stroh, Hülsen und Stielen gedeckt. An einer Tür erhielt ich von einer Frau ein halbes verbranntes Fladenbrot. Die Männer, denen ich begegnete, ignorierten mich. Nachdem ich dieses Volk besser kennengelernt hatte, verstand ich, daß sie mich deshalb ignorierten, weil sie alles erklären wollten; da sie keine Ahnung hatten, wer ich war oder woher ich kam, taten sie, als sähen sie mich nicht.
    Am Abend setzte ich mich an die gleiche Stelle wie zuvor, und als die große Frau kam und mir abermals Brot und Wasser brachte, das sie nun näher bei mir abstellte, hob ich die Gaben auf und folgte ihr zu ihrem Haus, einem der ältesten und kleinsten. Sie fürchtete sich, als ich die zerfetzte Matte zur Seite schob, womit ihre Tür verschlossen war, aber ich hockte mich zum Essen und Trinken in eine Ecke und gab ihr durch freundliche Blicke zu verstehen, daß ich ihr nichts Böses wollte. In dieser Nacht hatte ich es neben der kleinen Feuerstelle wärmer als draußen.
    Ich machte mich daran, das Haus instandzusetzen, indem ich die Wände abtrug, wo sie einzustürzen drohten, und neu aufmauerte. Die Frau sah mir eine Weile zu, ehe sie in die Stadt ging. Erst am späten Nachmittag kam sie wieder.
    Am nächsten Tag folgte ich ihr und stellte fest, daß sie ein größeres Haus aufsuchte, wo sie im Mörser Mais mahlte, Kleider wusch und Fußböden kehrte. Mittlerweile beherrschte ich ein paar Wörter für einfache Gegenstände, und so half ich ihr, wenn ich ihre Arbeit verstand.
    Der Hausherr war ein Schamane. Er diente einem Gott, dessen Schreckensbildnis hinter der östlichen Stadtgrenze errichtet war. Nachdem ich einige Tage für seine Familie gearbeitet hatte, erfuhr ich, daß sein wichtigstes Anbetungsritual allmorgendlich bereits vollzogen war bei meiner Ankunft. Daraufhin stand ich früher auf und trug die Stöcke zum Altar, wo er Mehl und Öl verbrannte und am Mittsommerfest einem Koipu den Hals abschnitt, während tanzende Füße stampften und Trommeln dröhnten. So lebte ich

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