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Die Urth der Neuen Sonne

Die Urth der Neuen Sonne

Titel: Die Urth der Neuen Sonne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gene Wolfe
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gewesen war). »Nein«, sagte ich. »Wir wollen leben.«
    »Das dachte ich mir.« Barbatus lächelte. »Wir kennen dich nun unser halbes Leben, Severian: du bist ein Kraut, das am besten gedeiht, wenn darauf herumgetrampelt wird.«
    Ossipago schien sich zu räuspern. »Wenn ihr euch noch länger unterhalten wollt, so bringe ich euch in eine bessre Zeit. Ich habe eine Verbindung zu unserm Fahrzeug.«
    Famulimus schüttelte das edle Haupt, und Barbatus sah mich an.
    »Mir ist lieber, wir besprechen uns hier«, erklärte ich ihnen. »Barbatus, als wir auf dem Schiff waren, stürzte ich in einen Schacht.
    Man fällt nicht schnell dort, ich weiß; aber ich bin tief gefallen, fast bis ins Zentrum, schätze ich. Ich war schwer verletzt, und Tzadkiel versorgte mich.« Ich überlegte, um mir möglichst viele Details ins Gedächtnis zurückzurufen.
    »Sprich weiter«, drängte Barbatus. »Wir wissen nicht, was du uns sagen willst.«
    »Ich fand dort einen Toten, der hatte eine Narbe an der Wange wie ich. Sein Bein war durch eine alte Wunde versehrt, genau wie das meine. Er war zwischen zwei Maschinen versteckt.«
    »Dennoch solltest du ihn finden, Severian?« fragte Famulimus.
    »Womöglich. „Ich wußte, daß Zak dahintersteckte. Und Zak war Tzadkiel oder ein Teil von Tzadkiel; aber das wußte ich damals noch nicht.«
    »Weißt es aber jetzt. Sprich weiter.«
    Ich wußte nicht, was ich mehr sagen sollte, und fuhr unschlüssig fort: »Das Gesicht des Toten war narbig, aber hatte große Ähnlichkeit mit mir. Ich sagte mir, ich könne dort nicht gestorben sein, ich würde dort nicht sterben, bildete ich mir doch ganz fest ein, daß ich im Mausoleum unsrer Nekropolis zur letzten Ruhe gebettet werden sollte. Ich habe euch davon erzählt.«
    »Gar oft«, brummte Ossipago.
    »Das bronzene Totenbild sieht fast so aus, wie ich jetzt aussehe. Dann war da Apu-Punchau. Als er erschien … Die Sibylle, sie war Hierodule wie ihr. Das weiß ich von Vater Inire.«
    Famulimus und Barbatus nickten.
    »Als Apu-Punchau erschien, war er ich. Ich wußte es, obwohl ich es nicht verstand.«
    »Wir verstanden es auch nicht«, entgegnete Barbatus, »als du davon erzähltest. Jetzt verstehe ich es, glaube ich.«
    »Sag schon!«
    Er deutete auf den Leichnam. »Das ist Apu-Punchau.«
    »Natürlich, das weiß ich längst. Sie gaben mir diesen Namen, und ich sah, wie dieses Gebäude errichtet wurde. Es war ein Tempel, Tempel des Tages, Tempel der Alten Sonne. Aber ich bin Severian und auch Apu-Punchau, Haupt des Tages. Wie konnte mein Leib von den Toten auferstehen? Wie konnte ich überhaupt hier sterben? Die Sibylle sagte, es sei nicht sein Grab, sondern sein Haus.« Ich glaubte, sie vor mir zu sehen, die Alte, in der sich die weise Schlange verbarg.
    »Sie sagte dir auch, daß sie jene Zeit nicht kenne«, trällerte Famulimus.
    Ich nickte.
    »Wie konnte die warme Sonne sterben, die jeden Tag aufging? Und wie konntest du dann sterben, der du die Sonne warst? Dein Volk ließ dich mit vielen Gesängen hier zurück. Und versiegelte die Tür, auf daß du ewig lebtest.«
    Barbatus sagte: »Wir wissen, daß du einst die Neue Sonne bringen wirst, Severian. Wir haben die Zeit durchschritten, wie wir auch viele andere Zeiten durchschritten haben, bis zu jener Begegnung mit dir auf der Burg des Riesen – die wir für unsere letzte Begegnung gehalten haben. Aber weißt du, wann die Neue Sonne geschaffen worden ist? Die Sonne, die du in dieses System gebracht hast zur Heilung der alten?«
    »Ich landete auf Urth im Zeitalter von Typhon, als der erste Berg ausgehöhlt wurde. Davor war ich auf Tzadkiels Schiff.«
    »Das zuweilen schneller segelt als die Winde, die es treiben«, brummte Barbatus. »Also hast du keine Ahnung.«
    Famulimus säuselte: »Wenn du unsern Rat willst, mußt du alles erzählen. Wir können kein guter Führer sein, wenn wir im dunkeln tappen.«
    Und so erzählte ich, angefangen beim Mord an meinem Steward, die ganze Geschichte bis zu jenem letzten Moment, an den ich mich erinnern konnte vor meinem Erwachen in Apu-Punchaus Haus. Ich bin nie bestrebt gewesen, unerläßliche Details vom Rest zu trennen (wie du als Leser wohl weißt), weil ich einerseits alle Details für unerläßlich halte. Als ich nun die Zunge bemühen konnte und mich nicht mit der Feder zu plagen brauchte, war ich noch viel weniger darauf bedacht, so daß ich ihnen weit mehr erzählte, als in diese Aufzeichnung Eingang fand.
    Während ich erzählte, traf ein Sonnenstrahl durch

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