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Die Urth der Neuen Sonne

Die Urth der Neuen Sonne

Titel: Die Urth der Neuen Sonne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gene Wolfe
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bei diesem Volk und nahm, soweit ich konnte, Anteil an ihren Gebräuchen.
    Holz war äußerst kostbar. Bäume wuchsen nicht in der Pampa, und zum Pflanzen konnten nur Ackerraine abgetreten werden. Der Herd der großen Frau wurde wie jedermanns Herd geschürt mit Stengeln, leeren Maiskolben und Hülsen, die man mit Dung vermengte und in der Sonne trocknete. Zuweilen gab es nur Stengel für das Feuer, das der Schamane tagtäglich entfachte, wenn er singend und tanzend das Licht der Alten Sonne in seiner heiligen Schale einfing.
    Obwohl ich die Hauswand der großen Frau neu gemauert hatte, konnte ich, wie es schien, am Dach wenig ausrichten. Die Balken waren schwach und alt und wiesen teils schlimme Risse auf. Zunächst überlegte ich, ob ich eine Steinsäule errichten sollte, um sie abzustützen; allerdings würde eine solche Säule das Häuschen sehr beengen.
    Nachdem ich hin- und herüberlegt hatte, trug ich die gesamte durchhängende Dachkonstruktion ab und ersetzte sie, wie ich es von der Schäfershütte in Erinnerung hatte, wo ich einst den Schal der Pelerinen liegenließ, durch gekreuzte Bögen, die ich aus losen Flußsteinen aufschichtete, die jeweils über dem Zentrum des Hauses zusammentrafen. Unter Verwendung weiterer Steine, die ich vom Fluß holte, gestampften Lehms und der Dachbalken als Stützgerüst ergänzte ich die Bögen und verstärkte die Außenmauern, um den seitlichen Schub auszugleichen. Während der Bauzeit mußten die Frau und ich draußen schlafen; allerdings beschwerte sie sich nicht, und als alles fertig war und ich die Kuppel, wie gehabt, mit Lehm und Grasfilz abgedichtet hatte, besaß sie ein neues hohes und robustes Heim.
    Als ich die Arbeit anging und das alte Dach einriß, wurde ich weiter nicht beachtet; aber als dies geschafft war und ich meine Bögen errichtete, kamen Männer von den Feldern und sahen mir zu und halfen mir manche gar. Als ich die letzten Gerüstteile abbaute, erschien der Schamane höchsteigen und brachte den Hetman des Dorfes mit.
    Sie gingen einmal und noch einmal und immer wieder ums Haus herum, und als offensichtlich wurde, daß das Dach nicht mehr vom Gerüst gehalten wurde, trugen sie Fackeln hinein. Sobald meine Arbeit getan war, mußte ich mich hinsetzen und ihren Fragen stellen, die sie mir gestenreich vortrugen, da ich ihre Sprache erst dürftig beherrschte.
    Ich erklärte ihnen alles, soweit ich konnte, indem ich flache Steinchen aufschichtete, um es ihnen vorzumachen. Sodann fragten sie nach meiner Person; woher ich gekommen sei und warum ich bei ihnen lebte. Es war das erste Mal seit langem, daß ich andere Zuhörer als die große Frau hatte, so daß ich von mir erzählte, was ich holprig auszuführen vermochte. Ich erwartete nicht, daß sie mir glaubten; schon daß sie – daß jemand – mich angehört hatten, reichte mir.
    Als ich schließlich hinaustrat, um auf die Sonne zu zeigen, merkte ich, daß der Abend gekommen war, während ich meine stockende Geschichte erzählte und grobe Bilder in den Erdboden kritzelte. Die große Frau saß bei der Tür, und ihr schwarzes Haar wehte im frischen, kühlen Wind aus den Pampas. Der Schamane und Hetman traten gleichfalls heraus mit ihren flackernden Fackeln, und ich sah, daß sie große Furcht hatte.
    Ich fragte sie, was sie plage, aber der Schamane hub zu einer langen Rede an, ehe sie antworten konnte, einer Rede, von der ich nicht mehr als jedes zehnte Wort verstand. Sobald er geschlossen hatte, ergriff der Hetman das Wort und folgte seinem Beispiel. Was sie sagten, lockte die Männer aus den umliegenden Häusern, die teils mit Jagdspeeren (denn es war kein kriegerisches Volk), teils mit Breitbeilen oder Messern bewaffnet waren. Nun wandte ich mich wieder an die Frau und fragte, was geschehen sei.
    Sie flüsterte aufgeregt und erklärte mir, der Schamane und Hetman hätten gesagt, ich hätte behauptet, daß ich den Tag gebracht hätte und durch den Himmel geschritten sei. Nun müßten wir bleiben, wo wir seien, bis der neue Tag käme, ohne daß ich ihn brächte; wenn dies geschähe, müßten wir sterben. Sie weinte. Tränen mochten über ihre hageren Wangen strömen; wenn ja, so sah ich sie nicht im trüben Fackelschein. Nun fiel mir ein, daß ich diese Leute nie hatte weinen sehen, nicht einmal die Kinderchen. Ihr trockenes, knarzendes Schluchzen bewegte mich, wie mich keine Tränen je bewegt hatten.
    Vorerst warteten wir vor ihrem Hause ab. Frische Fackeln wurden herbeigeschafft und aus den umliegenden

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