Die Urth der Neuen Sonne
einen Spalt; nun wußte ich, daß ich bei Nacht erwacht und daß ein neuer Tag angebrochen war.
Und ich erzählte noch immer, als sich die Töpferscheiben zu drehen begannen und wir die Frauen schwatzend zum Fluß pilgern hörten, der versiegen sollte, wenn die Sonne abkühlte.
»Soviel zu mir«, schloß ich, »und nun zu euch. Könnt ihr nun das Rätsel von Apu-Punchau lösen, nachdem ich euch alles erzählt habe?«
Barbatus nickte. »Das können wir wohl. Du weißt bereits, wenn ein Schiff in schneller Fahrt zwischen den Sternen kreuzt, können Minuten und Tage an Bord auf Urth Jahre oder Jahrhunderte sein.«
»Muß wohl so sein«, räumte ich ein, »wenn die Zeit zuerst durch das Hin und Her des Lichtes gemessen wurde.«
»Somit wurde dein Stern, der Weiße Born, eine Zeit, sicherlich eine lange Zeit vor der Regentschaft Typhons geboren. Ich schätze, die Zeit ist nun nicht mehr fern.«
Famulimus schien zu lächeln, und es mochte in der Tat ein Lächeln gewesen sein. »Davon müssen wir ausgehen, Barbatus, wenn er durch die Macht des Sterns hierher gebracht worden ist. Auf seinem Flug durch die Zeit läuft er, bis er halten muß; so hält er hier, weil er nicht laufen kann.«
Falls Barbatus diese Unterbrechung aus der Fassung brachte, so ließ er sich jedenfalls nichts anmerken. »Vielleicht erlangst du deine Macht wieder, wenn das erste Licht deines Sterns auf Urth zu sehen ist. Wenn dem so ist, so wird, wenn diese Zeit kommt, Apu-Punchau vielleicht erwachen, vorausgesetzt er gedenkt, den Ort zu verlassen, an dem er sich gefunden hat.«
»Lebend zum Tod erwachen?« fragte ich. »Wie schrecklich!«
Famulimus widersprach. »Sag lieber wunderbar, Severian. Vom Tod zum Leben, um dem Volk beizustehen, das ihn verehrt hat.«
Ich überlegte eine Weile, während die drei geduldig abwarteten. Schließlich sagte ich: »Vielleicht kommt uns der Tod nur schrecklich vor, weil er einen Trennstrich zieht zwischen den Schrecken des Lebens und seinen Wundern. Wir sehen nur das Schreckliche, das übrigbleibt.«
Ossipago brummte: »Das hoffen wir ebenso wie ihr, Severian.«
»Aber wenn ich Apu-Punchau bin, wer war dann der Tote, den ich auf Tzadkiels Schiff fand?«
Famulimus, die fast flüsterte, säuselte: »Der Tote, den du gesehen hast, ist das Kind deiner Mutter. So habe ich zumindest den Eindruck anhand des Gesagten. Sie würde ich beweinen, wenn ich Tränen zu vergießen hätte, nicht aber dich – vielleicht –, denn du lebst hier weiter. Was wir hier für dich getan haben, Severian, das hat der mächtige Tzadkiel dort getan: aus dem Gedächtnis deines toten Verstandes einen neuen Verstand und Körper entstehen lassen.«
»Heißt das, als ich vor Tzadkiels Richterstuhl stand, war ich ein Eidolon, das Tzadkiel höchsteigen gemacht hatte?«
Ossipago murmelte: »Gemacht ist ein zu starkes Wort, falls ich so viel Zugang zu deiner Sprache habe, wie ich mir einbilde. Greifbar gemacht vielleicht.«
Ich blickte zu Famulimus, von der ich mir Klärung erhoffte.
»Du warst Gedankengut deines toten Verstandes. Er vollzog die Verkörperung, machte dich heil, schloß die tödliche Wunde, die du empfangen hattest.«
»Machte mich zu einem wandelnden, sprechenden Bildnis meiner selbst.« Obwohl ich die einzelnen Wörter aussprach, konnte ich mich kaum dazu überwinden, über ihre Bedeutung nachzudenken. »Der Sturz hat mich getötet, wie ich auch hier von meinem Volk getötet worden bin.«
Ich beugte mich über den Leichnam von Apu-Punchau und betrachtete ihn. »Erwürgt, meine ich«, murmelte Barbatus.
»Warum konnte Tzadkiel mich nicht zurückholen, wie ich Zama zurückholte? Heilen, wie ich Herena heilte? Warum mußte ich sterben?«
Was dann geschah, verblüffte mich, wie mich nichts mehr verblüfft hat: Famulimus sank auf die Knie und küßte den Boden vor meinen Füßen.
Barbatus sagte: »Was läßt dich glauben, Tzadkiel hätte solche Macht? Famulimus und Ossipago und ich sind nichts vor ihm, aber wir sind nicht seine Sklaven; und mag er auch groß sein, er ist nicht das Haupt seiner Rasse und ihr Erretter.«
Sicherlich hätte mich diese Geste ehren sollen; indes verdutzte sie mich lediglich und war ungemein peinlich. Ich bedeutete Famulimus ausdrücklich, sich zu erheben, und stammelte: »Aber ihr beschreitet die Korridore der Zeit!«
Barbatus erniedrigte sich nun seinerseits, während Famulimus sich aufrichtete.
Sie säuselte: »Nur für eine kleine Weile, Severian – damit wir reden können mit dir,
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