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Die Urth der Neuen Sonne

Die Urth der Neuen Sonne

Titel: Die Urth der Neuen Sonne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gene Wolfe
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gemeinsam handeln. Unsre Uhren laufen entgegen euren beiden Sonnen.«
    Der kniende Barbatus erklärte: »Hätten wir uns von Ossipago an einen bessren Ort bringen lassen, wie es sein Wunsch war, so wäre das eine frühere Zeit gewesen. Und das wäre für dich kaum ein bessrer Ort gewesen.«
    »Eine Frage noch, erlauchte Hierodulen, bevor ihr mich in meine Zeit zurückbringt. Als ich neben dem Meer mit Meister Malrubius sprach, zerfiel er in glitzernden Staub. Und doch …« Ich konnte es nicht aussprechen, aber mein Blick fiel auf den Leichnam.
    Barbatus nickte. »Jenes Eidolon, wie du’s nennst, existierte nur kurze Zeit. Ich weiß nicht, auf welche Energien Tzadkiel zurückgegriffen hat, um dich an Bord des Schiffes zu erhalten; vielleicht hast du selbst dich jeglicher verfügbarer Energiequellen bedient, wie du auch Energie vom Schiff abgezogen hast, als du den toten Steward hast zurückholen wollen. Aber solltest du diese Quelle auch zurückgelassen haben, als du hierher gekommen bist, so hast du doch lange Zeit davor schon gelebt auf dem Schiff, in Yesod, wieder auf dem Schiff, auf dem Tender, in Typhons Zeit und so fort. Und ständig hast du währenddessen stoffliche Materie geatmet, gegessen und getrunken und deinem Körper verfügbar gemacht. So ist auch dein Körper stofflich geworden.«
    »Aber ich bin tot – nicht nur hier, sondern schon auf Tzadkiels Schiff.«
    »Hier liegt dein toter Zwilling«, erklärte Barbatus. »Wie auch dort ein toter Zwilling liegt. Nebenbei bemerkt, wäre er nicht tot gewesen, hätten wir nicht tun können, was wir getan haben, denn jeder lebende Organismus ist mehr als bloße Materie.« Er blickte hilfesuchend zu Famulimus, aber vergeblich. »Was weißt du von der Anima?«
    Ich mußte an Ava denken und ihre Worte an mich: »Du bist ein Materialist wie alle Einfaltspinsel. Aber dein Materialismus macht den Materialismus nicht wahr.« Die kleine Ava war mit Foila und den andern umgekommen. »Nichts«, gab ich zur Antwort. »Ich weiß nichts von der Anima.«
    »Es ist gewissermaßen wie eine Zeile aus einem Vers. Famulimus, wie geht die Zeile, die du mir zitiert hast?«
    Seine Frau trällerte: »Erwacht! Der Tag wirft in den Schoß der Nacht den Stein, der die Sterne fliehen läßt.«
    »Ja«, sagte ich, »verstehe.«
    Barbatus deutete. »Angenommen, ich schriebe diese Zeilen auf diese Wand – und dann ein zweites Mal auf jene Wand. Was wären die echten Zeilen?«
    »Beides«, entgegnete ich, »und weder noch. Die wahren Verszeilen sind weder Schrift noch Sprache, sondern – ich weiß nicht was.«
    »Nämlich verhält es sich mit der Anima, soweit ich verstehe. Sie stand hier geschrieben.« Er deutete auf den Toten. »Jetzt steht sie in dir geschrieben. Wenn das Licht des Weißen Borns auf die Urth fällt, wird sie wieder dort geschrieben stehen. Dennoch wird die Anima in dir nicht gelöscht durch jene Schrift. Es sei denn …«
    Ich wartete darauf, daß er fortfuhr.
    Ossipago erklärte: »Es sei denn, du kommst ihr zu nahe. Wenn du einen Namen in den Staub schreibst und mit dem Finger nachfährst, so sind dort keine zwei Namen, sondern einer. Wenn zwei Ströme durch einen Leiter fließen, ergibt sich ein Strom.«
    Während ich große Augen machte, trällerte Famulimus: »Du bist deinem Double einmal zu nahe gekommen, wie du weißt. Das war hier, in dieser öden Stadt aus Stein. Daraufhin verschwand er, und übrig bliebst nur du. Unsre Eidola stammen stets von Toten. Hast du dich nicht nach dem Grund gefragt? Ich warne dich!«
    Barbatus nickte. »Und wenn du meinst, wir bringen dich in deine Zeit zurück: Da können wir dir nicht helfen. Dein grüner Mann kannte sich vielleicht besser aus als wir oder hatte zumindest mehr Energie zur Verfügung. Wir lassen dir Essen, Trinken und ein Licht hier. Du mußt auf den weißen Born warten. Es sollte nicht lange dauern, wie Famulimus gesagt hat.«
    Famulimus entschwand allmählich in die Vergangenheit, so daß ihr Säuseln wie von fern klang. »Vernichte den Leichnam nicht, Severian – so sehr du auch versucht sein magst. Ich warne dich!«
    Barbatus und Ossipago waren entschwunden, während ich Famulimus nachsah. Als ihre Stimme verklang, war im Hause des Apu-Punchau kein Laut mehr zu hören bis auf sein schwaches Atmen.
     

 
Die Urth der Neuen Sonne
     
    Den Rest des Tages hockte ich im Dunkeln und schalt mich einen Narren. Der Weiße Born würde in der Nacht scheinen, wie ich wußte und worauf die Bemerkungen der Hierodulen wohl

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