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Die Urth der Neuen Sonne

Die Urth der Neuen Sonne

Titel: Die Urth der Neuen Sonne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gene Wolfe
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es mich beinahe das Leben gekostet hatte.
    Was immer es auch gewesen sein mochte, es hatte mir das Bewußtsein geraubt, während die Dunkelheit anbrach. In ihrem Schutze kehrte der Eindringling wieder. Als er meinen Hilferuf hörte (den ein gutmütiger Mensch beantwortet hätte), kam er herbei, um mich zu töten.
    Alle diese Gedanken beanspruchten viel weniger Zeit als das Niederschreiben. Nun kommt der Wind und bläst unser neues Land Korn für Korn zur untergegangenen Republik; aber ich werde noch eine kurze Weile schreiben, ehe ich mich zur Ruhe bette: schreiben, daß der einzig brauchbare Schluß, zu dem sie mich führten, der war, daß der Eindringling vielleicht noch verwundet im Gang läge. In dem Fall könnte ich ihn vielleicht dazu bewegen, sein Motiv und seine Verbündeten, falls es ein solches oder solche gäbe, offenzulegen. Ich löschte die Kerze, öffnete die Tür, so leise ich konnte, und glitt hinaus, lauschte kurz und wagte es dann, sie wieder zu entfachen.
    Mein Feind war weg, aber ansonsten hatte sich nichts verändert. Der tote Steward war noch tot, das Klappmesser lag noch bei seiner Hand. Der Gang war leer, soweit das flackernde gelbe Licht reichte.
    Um Kerze zu sparen und meine Position nicht zu verraten, löschte ich sie wieder. Auf kurze Distanz war das Jagdmesser, das Gunnie für mich gefunden hatte, wohl nützlicher als eine Pistole. Mit dem Messer in der Hand tastete ich mich langsam an der Wand entlang durch den Gang und suchte das Gemach der Hierodulen.
    Als ich mit Famulimus, Barbatus und Ossipago dorthin gegangen war, hatte ich weder auf den Weg noch die Entfernung geachtet; freilich konnte ich mich an jede Tür erinnern, die wir passiert hatten, und an nahezu jeden Schritt, den ich getan. Obwohl der Hinweg soviel länger dauerte als das erste Mal, wußte ich genau (oder bildete es mir ein), wann ich dort war.
    Ich klopfte an die Tür, aber bekam keine Antwort. Ich drückte das Ohr an, aber vernahm keinen Laut von drinnen. Ich klopfte abermals, jetzt lauter, aber das Ergebnis blieb dasselbe; und schließlich hämmerte ich mit dem Knauf meines Messers dagegen.
    Als auch dies unbeantwortet blieb, schlich ich im Dunkeln zu den Türen links und rechts davon (obwohl diese ein Stück entfernt und es bestimmt die falschen waren) und klopfte auch dort an. Ich bekam keine Antwort.
    Die Rückkehr in mein Gemach wäre eine Einladung zum Mord gewesen. Und so beglückwünschte ich mich herzlich dafür, mir bereits eine zweite Bleibe angeschafft zu haben. Leider müßte ich, um über den einzigen Weg, der mir bekannt war, dorthin zu gelangen, die Tür zu meinem Gemach passieren. Als ich die Geschichte meiner Vorgänger und die Erinnerungen jener Personen studierte, die zu meiner Persönlichkeit vereint sind, fiel mir auf, wie viele ihr Leben verloren hatten bei einer letzten Wiederholung einer gefährlichen Handlung – indem sie den letzten Angriff einer siegreichen Schlacht führten oder inkognito einen Abschiedsbesuch bei einer Dame in der Stadt riskierten. Des rechten Weges bewußt, glaubte ich zu wissen, in welchem Teil des Schiffes meine neue Kabine läge; ich beschloß, dem Gang zu folgen, bei erster Gelegenheit umzukehren und zurückzulaufen und so schließlich an mein Ziel zu gelangen.
    Ich will den langen Fußmarsch übergehen, der allein für mich ermüdend genug war und nicht auch dich, meinen hypothetischen Leser, zu ermüden braucht. Es genüge zu sagen, daß ich eine Treppe in ein tieferes Geschoß mit einem Gang fand, der unterhalb des Ganges zu verlaufen schien, aus dem ich kam, aber bald in eine nach unten führende Treppe mündete, die sich zu einem Labyrinth aus Gängen, Leitern und schmalen Passagen auftat, wo es stockfinster war und wo der Boden sich unter den Füßen bewegte und die Luft immer wärmer und feuchter wurde.
    Schließlich trug mir die schwüle Luft einen stechenden Geruch zu, der mir eigenartig vertraut vorkam. Ich folgte ihm, so gut ich konnte, indem ich, der ich mich so oft meines Gedächtnisses gerühmt habe, mich scheinbar eine ganze Meile schnüffelnd vorantastete wie ein Jagdhund und beinahe vor Freude gewinselt hätte beim Gedanken an einen Ort, der mir bekannt war, nach soviel Leere, Stille und Schwärze.
    Dann winselte ich in der Tat, denn weit weg sah ich einen schwachen Lichtschein. Meine Augen hatten sich dermaßen an die Dunkelheit gewöhnt in diesen Wachen der Wanderschaft in den Eingeweiden des Schiffes, daß ich, mochte der Lichtschein auch noch so

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