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Die Urth der Neuen Sonne

Die Urth der Neuen Sonne

Titel: Die Urth der Neuen Sonne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gene Wolfe
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Linken glänzte grauschwarz vor Feuchtigkeit, ein dunkler hochkant stehender Bergsee. Darüber war vielleicht gar kein Schiff, sondern bewölkter, von einer kreisenden Sonne belagerter Himmel.
    Es dauerte nur einen Moment lang. Ich hörte ferne Rufe hie und da, als Matrosen ihre Kameraden darauf aufmerksam machten, was keinesfalls zu übersehen war. Dann breitete sich eine Dunkelheit aus, die wohl schrecklicher war als zuvor. Ich erklomm hundert Stufen; Lichter flackerten, als wäre jede Lampe so müde wie ich, und gingen wieder aus. Nach tausend Schritten schrumpfte die Flamme der goldenen Kerze zu einem blauen Punkt. Ich löschte sie, um das zu sparen, was an Brennstoff noch übrig war, und stieg im Dunkeln weiter.
    Vielleicht rührte es nur daher, daß ich aus dem Bauch des Schiffes kam und zum obersten Deck stieg, das unsere Atmosphäre begrenzte, aber mir wurde kalt. Ich versuchte, schneller zu gehen, damit mir warm würde vor Anstrengung, aber konnte einfach nicht. Ich geriet vor Hast nur ins Stolpern, und das Bein, das ein ascischer Infanterist bei der Dritten Schlacht von Orithyia offengelegt hatte, brachte mich an den Rand des Grabes.
    Eine Zeitlang fürchtete ich, ich würde das Geschoß übersehen, in dem sich meine und Gunnies Kabine befand, aber ich verließ die Treppe ohne Überlegung, entzündete die goldene Kerze nur für einen Moment und hörte die Angeln knarren, als die Tür sich öffnete.
    Ich hatte die Tür geschlossen und mich zur Koje getastet, als ich merkte, daß ich nicht allein war. Ich rief und bekam Antwort von Idas, dem Matrosen mit dem weißen Haar, dessen Tonfall eine Mischung aus Furcht und Neugier verriet.
    Ich fragte: »Was suchst du hier?«
    »Warte auf dich. Habe – habe gehofft, daß du kommst. Warst nicht bei den andern drunten.«
    Da ich nichts sagte, fügte er hinzu: »Bei der Arbeit, meine ich. Also habe ich mich auch gedrückt und bin hergekommen.«
    »In meine Kabine. Das Schloß hätte dich nicht einlassen dürfen.«
    »Aber du hast es ihm nicht verboten. Ich habe dich beschrieben, und es kennt mich, mußt du wissen. Meine Kabine ist nicht weit von hier. Ich habe ihm die Wahrheit gesagt, daß ich nur auf dich warten wolle.«
    »Ich werde ihm sagen, es soll außer mir niemand einlassen«, erklärte ich.
    »Es wäre klug, bei Freunden eine Ausnahme zu machen.«
    Ich meinte, ich wolle es mir überlegen, wobei für mich freilich feststand, daß er gewiß keine solche Ausnahme wäre. Gunnie vielleicht.
    »Du hast Licht. Wäre es nicht gemütlicher, wenn du es anmachst?«
    »Woher weißt du, daß ich Licht habe?«
    »Als die Tür aufging, war draußen kurz Licht. Hattest was in der Hand, nicht?«
    Ich nickte, woraufhin ich bedachte, daß er mich nicht sehen könne in der Dunkelheit, und sagte: »Ich möchte Licht sparen.«
    »Schon gut. Hat mich allerdings gewundert, daß du das Licht nicht benutzt hast, um das Bett zu finden.«
    »Ich habe recht genau gewußt, wo es steht.«
    In Wahrheit hatte ich aus Gründen der Selbstdisziplin darauf verzichtet, die goldene Kerze zu entzünden. Ich war versucht, sie anzumachen, um zu sehen, ob Idas verbrannt oder gebissen war. Mein Verstand sagte mir allerdings, daß der Meuchelmörder mit der Verbrennung nicht imstande wäre, mir ein zweites Mal an den Kragen zu gehen, und daß derjenige, der gebissen wurde, die eiserne Treppe des Luftschachts kaum so weit vor mir erreicht hätte, daß seine Schritte darauf ungehört geblieben wären.
    »Hast du was dagegen, wenn ich mich mit dir unterhalte? Als wir uns vorher trafen und du von deiner Heimatwelt sprachst, wollte ich unbedingt mehr darüber hören.«
    »Gern«, erwiderte ich, »wenn es dir nichts ausmacht, mir ein paar Fragen zu beantworten.« Eigentlich hätte ich mich gern ein bißchen ausgeruht. Ich war noch ziemlich erledigt, aber durfte die Chance auf Informationen nicht ungenutzt verstreichen lassen.
    »Nein«, sagte Idas, »macht mir gar nichts aus – ich beantworte dir sehr gern deine Fragen, wenn du die meinigen beantwortest.«
    Auf einen unverfänglichen Beginn bedacht, schlüpfte ich aus den Stiefeln und streckte mich auf der Koje aus, die ob dieser Behandlung leise ächzte. »Wie heißt denn die Sprache, die wir sprechen?« fing ich an. »Die wir jetzt sprechen? Nun, Shantey natürlich.«
    »Und kennst du auch andere Sprachen, Idas?«
    »Nein. Ich bin an Bord geboren worden, nicht wahr? Das ist zum Beispiel etwas, worüber ich dich fragen wollte – inwiefern das Leben anders

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