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Die Urth der Neuen Sonne

Die Urth der Neuen Sonne

Titel: Die Urth der Neuen Sonne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gene Wolfe
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stimmt nicht. Ihr nennt uns Hierodulen, und das ist ein Wort von euch, nicht von uns, wie auch Barbatus, Famulimus und Ossipago eure Wörter sind, Wörter, die wir gewählt haben, weil sie nicht häufig vorkommen und uns besser beschreiben als eure andern Wörter. Weißt du, was Hierodule bedeutet, dieses Wort eurer Zunge?«
    »Ich weiß, daß ihr Geschöpfe dieses Universums seid, von denjenigen des nächsten geformt, um ihnen hier zu dienen. Und daß der Dienst, den sie von euch verlangen, das Formen unsrer Rasse, der Menschheit ist, weil wir die Blutsverwandten derjenigen sind, von denen sie in den Zeitaltern der früheren Schöpfung geformt worden sind.« Famulimus trällerte: »Hierodule bedeutet ›heiliger Sklave‹. Wie könnten wir Hierodulen heilig sein, wenn wir nicht dem Increatus dienten? Er ist unser Herr, er allein.«
    Barbatus fügte hinzu: »Du hast Armeen befehligt, Severian. Du bist ein König und ein Held oder bist es zumindest gewesen, bevor du deine Welt verlassen hast. Vielleicht wirst du wieder herrschen, falls du scheiterst. Du mußt wissen, daß ein Soldat nicht seinem Offizier dient, zumindest nicht seinem Offizier dienen soll. Er dient seinem Volk und erhält seine Befehle vom Offizier.«
    Ich nickte. »Die Hierogrammaten sind also eure Offiziere. Verstehe. Ich besitze die Erinnerungen meines Vorgängers, wie ihr vielleicht noch nicht wißt; also weiß ich, daß er geprüft worden ist, wie ich geprüft werde, und daß er gescheitert ist. Und ich möchte meinen, was mit ihm geschah, daß man ihn nämlich entmannt zurückschickte, damit er den Niedergang unsrer Urth mitansehe in dem Wissen, daß er versagte bei der einzigen Möglichkeit, sie wieder ins rechte Lot zu rücken, das war wahrlich grausam.«
    Famulimus machte fast immer ein ernstes Gesicht; nun wirkte es ernster denn je. »Seine Erinnerungen, Severian? Hast du nicht mehr als Erinnerungen?«
    Zum ersten Mal seit vielen Jahren spürte ich, wie mir das Blut ins Gesicht schoß. »Das war gelogen«, sagte ich. »Ich bin er, wie ich auch Thecla bin. Ihr drei wart meine Freunde, als ich wenige Freunde hatte, und ich sollte euch nicht belügen, obwohl ich mich oft selbst belügen muß.«
    Famulimus flötete: »Dann mußt du wissen, daß die Geißel alle gleich trifft. Doch wer dem Erfolg am nächsten ist, der empfindet sie schmerzhafter. Das ist ein Gesetz, das wir nicht ändern können.«
    Draußen im Korridor, nicht weit weg, schrie jemand auf. Ich eilte zur Tür, und der Schrei erstickte mit dem Gurgeln, das verrät, daß sich die Kehle mit Blut füllt.
    »Warte, Severian!« schnauzte Barbatus mich an, und Ossipago verstellte mir die Tür.
    Famulimus flötete eindringlich: »Ich muß dir noch was sagen.
    Tzadkiel ist gütig und gerecht. Vergiß das nicht, magst du auch viel erdulden.«
    Ich wandte mich ihr zu, ohne es zu wollen. »Ich vergesse es nicht. Der alte Autarch hat seinen Richter nicht gesehen! Ich habe den Namen vergessen, weil er ihn unbedingt vergessen wollte. Aber nun erinnern wir uns an alles. Es war Tzadkiel. Er war gütiger als Severian, gerechter als Thecla. Welche Chance hat die Urth noch?«
    Obwohl ich nicht weiß, wessen Hand es gewesen ist – vielleicht Theclas Hand oder die Hand einer der düsteren Gestalten hinter dem alten Autarchen –, ist eine Hand an meine Pistole geflogen. Ich weiß auch gar nicht, auf wen sie hat schießen wollen, wenn nicht gar auf mich selbst. Ich konnte überhaupt nicht ziehen, denn von hinten packte mich Ossipago und hielt mit stählernem Griff meine Arme fest.
    »Das hat Tzadkiel zu entscheiden«, erklärte Famulimus mir. »Die Urth hat die Chance, die du ihr gibst.«
    Irgendwie öffnete Ossipago die Tür, ohne mich loszulassen; vielleicht ging sie auch von selbst auf nach einem Kommando, das ich überhörte. Er wirbelte mich herum und warf mich in den Gang hinaus.
     

 
Ein Toter und Dunkelheit
     
    Es war der Steward. Er lag mit dem Gesicht nach unten im Gang, die abgetretenen Sohlen seiner säuberlich polierten Stiefel waren keine drei Ellen von meiner Tür entfernt. Das Haupt war am Hals abgetrennt. Ein Klappmesser, das noch geschlossen war, lag neben seiner rechten Hand.
    Seit zehn Jahren trug ich die schwarze Klaue, die ich neben dem Ozean aus meinem Arm gezogen hatte. Als ich Autarchenwürde erlangte, hatte ich zunächst oft versucht, sie zu benutzen, stets ohne Erfolg; in den letzten acht Jahren hatte ich kaum einen Gedanken daran verschwendet. Nun nahm ich sie aus dem

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