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Die Urth der Neuen Sonne

Die Urth der Neuen Sonne

Titel: Die Urth der Neuen Sonne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gene Wolfe
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Lederbeutelchen, das Dorcas für mich in Thrax genäht hatte, berührte die Stirn des Stewards damit und versuchte zu wiederholen, was ich – was immer das auch sein mochte – für das Mädchen in der Hütte, den Menschenaffen beim Wasserfall und den toten Ulan getan hatte.
    Obwohl mir nicht danach zumute ist, will ich versuchen zu beschreiben, was dann geschah: Als ich einst Vodalus’ Gefangener war, wurde ich von einer blutsaugenden Fledermaus gebissen. Es tat nicht sehr weh, erfüllte mich aber mit einer Mattigkeit, die mit jedem Moment verlockender wurde. Als ich den Fuß berührte und die schmausende Fledermaus verscheuchte, kam mir der Wind ihrer dunklen Flügel wie der Atem von Gevatter Tod vor. Das war nur der Schatten, der Vorgeschmack dessen, was ich im Gang verspürte. Ich war im Mittelpunkt des Universums, wie wir es aus eigener Sicht immer sind; und das Universum zerfiel wie die stockigen Lumpen eines Klienten und zerfiel in grauen Flocken zu nichts.
    Lange lag ich zitternd im Dunkeln. Vielleicht war ich bei Bewußtsein. Jedenfalls registrierte ich es nicht, registrierte nur roten Schmerz überall und eine Mattigkeit, wie sie ein Toter verspüren muß. Schließlich sah ich einen Lichtfunken; es dämmerte mir, daß ich blind sein müsse, und dennoch machte mir dieser Funke Hoffnung, ein ganz klein wenig Hoffnung. Ich setzte mich auf, obwohl ich so erledigt und matt war, daß es zur Qual wurde.
    Der Funke tauchte wieder auf, ein infinitesimaler Funke, kleiner als der Lichtpunkt, den die Sonne auf einer Nadelspitze bildet. Er lag in meiner Hand, war aber erloschen, ehe ich es merkte, längst verschwunden, ehe ich meine Finger rühren konnte und feststellte, daß sie glitschig waren vor Blut.
    Der Funke war von der Klaue gekommen, dem harten scharfen schwarzen Dorn, der mich vor langer Zeit in den Arm gestochen hatte. Ich hatte wohl die Hand zur Faust geballt. Ich hatte mir die Klaue ins zweite Gelenk des Zeigefingers getrieben, bis die Spitze auf der anderen Seite wieder herauskam, und ihn durchbohrt wie mit einem Fischhaken. Ich riß die Klaue heraus, wobei ich den Schmerz kaum registrierte, und steckte sie, noch naß vom Blut, in den Beutel zurück.
    Mittlerweile war ich mir wieder sicher, daß ich blind war. Die glatte Fläche, auf der ich lag, kam mir vor wie der Boden des Ganges; die Paneele, die meine Finger ertasteten, sobald ich mich auf die Füße gekämpft hatte, hätten leicht seine Wand sein können. Dennoch war es im Gang ausreichend hell gewesen. Wer hätte mich an diesen dunklen Ort verschleppen, mir so zusetzen sollen, daß mir alles weh tat? Ich hörte eine menschliche Stimme stöhnen; es war meine Stimme, und ich biß die Zähne zusammen, um sie zu ersticken.
    Als ich in meiner Jugend mit Dorcas von Nessus nach Thrax reiste und von Thrax größtenteils allein weiter nach Orithyia, hatte ich Flint und Stahl zum Feuermachen bei mir getragen. Nun hatte ich nichts. Ich erforschte meinen Geist und meine Taschen nach etwas, das Licht spenden könnte, und fand nichts Besseres als die Pistole. Die zog ich und holte Luft, um eine Warnung auszustoßen; erst jetzt kam ich auf die Idee, um Hilfe zu rufen.
    Ich erhielt keine Antwort. Ich lauschte, aber konnte keine Schritte hören. Nachdem ich mich vergewissert hatte, daß die Pistole noch auf kleinste Leistung eingestellt war, entschloß ich mich zu ihrem Einsatz.
    Ich wollte einen einzigen Schuß abfeuern. Falls ich das violette Mündungsfeuer nicht sähe, wüßte ich, daß ich das Augenlicht verloren hatte. Dann könnte ich mir überlegen, ob ich auch mein Leben hingeben möchte, solange die nötige Verzweiflung anhielte, oder versuchen sollte, an Bord ärztliche Hilfe zu finden. (Und dennoch wußte ich bereits, daß ich – daß wir uns nicht für das Ende entscheiden könnten, selbst wenn wir wollten. Welche andere Hoffnung verbliebe der Urth?)
    Mit der linken Hand tastete ich die Wand, so daß die Mündung in den Gang zeigen würde. Mit der andern hielt ich die Pistole in Schulterhöhe wie ein Schütze, der über eine Distanz zielt.
    Ein Lichtpunkt leuchtete vor mir auf, wie wenn der rote Verthandi durch Wolken schimmert. Das Licht erschreckte mich dermaßen, daß ich kaum merkte, wie ich mit dem Finger den Abzug drückte, obwohl es der verletzte war.
    Energie zerriß die Dunkelheit. Im violetten Schein sah ich den toten Steward, die halboffene Tür meines Prunkgemaches dahinter, eine sich windende Gestalt und blitzenden Stahl.
    Im nächsten

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