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Die Urth der Neuen Sonne

Die Urth der Neuen Sonne

Titel: Die Urth der Neuen Sonne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gene Wolfe
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ist für jemand von einer richtigen Welt. Ich habe viele Geschichten gehört von der Besatzung, aber das sind nur dumme Matrosen. Ich sehe dir an, daß du jemand bist, der denkt.«
    »Danke. Wenn du hier geboren bist, hast du reichlich Gelegenheit gehabt, richtige Welten zu besuchen. Hast du viele entdeckt, auf denen man Shantey spricht?«
    »Offengestanden habe ich seltener Landurlaub genommen, als mir möglich gewesen wäre. Meine Erscheinung – ist dir ja wohl aufgefallen …«
    »Beantworte meine Frage, bitte.«
    »Auf den meisten Welten wird Shantey gesprochen, schätze ich.« Idas’ Stimme klang jetzt ein bißchen näher, fand ich.
    »Aha. Auf Urth spricht man dein sogenanntes Shantey nur in der Republik. Bei uns gilt Shantey als die älteste Sprache, aber ich bin mir bis jetzt nicht sicher gewesen, ob das wahr ist.« Nun beschloß ich, die Sprache auf die rätselhafte Finsternis zu bringen. »Wäre ungleich angenehmer, wenn wir einander sehen könnten, oder?«
    »O ja! Mach doch dein Licht an.«
    »Später vielleicht. Glaubst du, die kriegen das bald wieder hin mit der Schiffsbeleuchtung?«
    »Sie sind beim Reparieren, so daß die wichtigsten Teile jetzt Licht haben«, erklärte Idas. »Aber wir sind hier kein wichtiger Teil.«
    »Was ist denn schiefgelaufen?«
    Ich konnte ihn geradezu die Schultern heben sehen. »Irgend etwas Leitendes muß auf die Pole einer der großen Zellen gefallen sein, aber noch weiß man nicht, was es ist. Jedenfalls sind die Platten durchgebrannt. Und ein paar Kabel, und das hätte eigentlich nicht passieren dürfen.«
    »Und alle andern Matrosen arbeiten daran?«
    »Die meisten meiner Gruppe.«
    Ich war mir sicher, daß er näher gekommen war, keine zwei Ellen vor der Koje stand.
    »Ein paar wurden für andere Arbeiten freigestellt. So konnte ich mich drücken. Severian, ist es – schön auf deiner Heimatwelt?«
    »Sehr schön, aber auch schrecklich. Das Allerschönste sind vielleicht die Inseln aus Eis, die schwimmen wie eine Argosie des Südens. Sie sind weiß und hellgrün, und sie glitzern wie Diamanten oder Smaragde im Sonnenlicht. Das Meer ringsum wirkt schwarz, ist aber so klar, daß man den Rumpf weit hinab sieht in der pelagischen Tiefe …«
    Idas schnaufte zischelnd, kaum vernehmbar. Als ich ihn schnaufen hörte, zog ich, so leise ich konnte, mein Messer.
    »… und jede ragt wie ein Berg auf zum königsblauen sternbedeckten Himmel. Aber es gibt kein Leben auf diesen Inseln aus Eis, kein menschliches Leben. Idas, ich bin schläfrig. Geh jetzt lieber.«
    »Ich würde gern mehr, viel mehr erfahren.«
    »Sicher, ein andermal.«
    »Severian, fassen sich die Menschen zuweilen an auf deiner Welt? Drücken sie einander die Hand zum Zeichen der Freundschaft? Das wird auf vielen Welten getan.«
    »Auf der meinen auch«, sagte ich und nahm das Messer in die linke Hand.
    »Also geben wir uns die Hand, dann gehe ich.«
    »Einverstanden.«
    Unsere Fingerspitzen berührten sich; in dem Moment ging in der Kabine Licht an.
    Er hielt ein Bolo mit der Klinge nach unten. Mit aller Kraft stieß er zu. Ich riß die rechte Hand hoch. Den Stoß hätte ich nie abfangen können, aber ich konnte ihn ablenken; die breite Spitze fuhr durch mein Hemd und bohrte sich so dicht an meiner Haut in die Matratze, daß ich die Kälte des Stahls spürte.
    Er wollte das Bolo herausziehen, aber ich packte ihn am Handgelenk, und er konnte sich nicht aus meinem Griff befreien. Ich hätte ihn leicht umbringen können, aber statt dessen rammte ich ihm das Messer in den Unterarm, damit er das Heft losließe.
    Er schrie – nicht so sehr vor Schmerz, wie ich meine, sondern beim Anblick des durchbohrten Arms. Ich stieß ihn nieder und drückte ihm im nächsten Moment die Spitze meines Messers an den Hals.
    »Still«, befahl ich, »oder ich bringe dich auf der Stelle um. Wie dick sind diese Wände?«
    »Mein Arm …«
    »Vergiß den Arm. Du wirst noch genug Zeit haben, deine Wunden zu lecken. Antworte mir!«
    »Nicht sehr dick. Wände und Böden bestehen nur aus Stahlblech.«
    »Gut, das heißt, daß niemand in der Nähe ist. Ich habe gelauscht auf der Koje, aber nicht einen Tritt gehört. Du kannst plärren, soviel du willst. Jetzt steh endlich auf!«
    Das Jagdmesser hatte eine scharfe Schneide: ich schlitzte Idas das Hemd im Rücken auf, riß es ihm vom Leib und entdeckte die knospenden Brüste, die ich erahnt hatte.
    »Wer hat dich auf dieses Schiff gebracht, Mädchen? Abaia?«
    »Hast’s gewußt!« Idas starrte

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