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Die Urth der Neuen Sonne

Die Urth der Neuen Sonne

Titel: Die Urth der Neuen Sonne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gene Wolfe
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scheinbar von nirgendwo kommt – ein solcher Winkel, aber um ein Vielfaches größer. Die Decke war mindestens zwanzig Ellen hoch und schräg. Keine Tür schuf Diskretion oder hielt Eindringlinge ab; in einer Ecke tat sich ein unverschlossener Gang auf.
    In der Ecke schräg gegenüber lag ich auf einem Haufen sauberer Lumpen. Als ich mich aufsetzte, um mich umzusehen, erschien aus dem Halbdunkel der haarige Zwerg, den Gunnie Zak nannte, und hockte sich neben mich. Er sagte nichts, aber seine Haltung drückte Sorge um mein Wohlbefinden aus. Ich sagte: »Mir fehlt nichts, keine Bange«, woraufhin er anscheinend ein wenig gelöster wurde.
    Das einzige Licht in dem Raum fiel durch die Tür; in seinem Schein studierte ich meinen Pfleger, so gut ich konnte. Er wirkte auf mich weniger wie ein Zwerg, sondern wie ein Kleinwüchsiger – das soll heißen, es bestand kein ausgeprägtes Mißverhältnis zwischen Rumpf und Gliedmaßen. Sein Gesicht unterschied sich im wesentlichen nicht von einem normalen Männergesicht, außer daß es von wallenden Locken umrahmt wurde, einem üppigen braunen Bart und einem noch üppigeren Schnurrbart, welche noch keine Schere berührt hatte. Die Stirn war flach, die Nase etwas platt und das Kinn (soweit sich dies erkennen ließ) leicht fliehend; aber viele Männer haben solche Züge. Er war in der Tat ein Mann, wie ich ergänzen sollte, ein splitternackter mit krauser dichter Körperbehaarung. Als er jedoch merkte, daß ich auf seinen Schritt blickte, zog er einen Lumpen aus dem Haufen und band ihn sich wie eine Schürze um den Leib.
    Mit einiger Mühe rappelte ich mich auf die Beine und humpelte durch den Raum. Er überholte mich und baute sich in der Tür vor mir auf. Jeder Muskel seines Körpers erinnerte mich an einen Diener, den ich einst einen trunkenen Beglückten zurückhalten sah; er bestürmte mich, von meinem Vorhaben abzulassen, und verkündete mir zugleich, daß sein Besitzer bereit sei, mich notfalls mit Gewalt zurückzuhalten.
    Ich war zu keinerlei Gewalt imstande und weit entfernt von jenem sorglosen Übermut, der uns verleitet, gegen unsere Freunde zu kämpfen, wenn keine Feinde zur Hand sind. Ich zögerte. Er deutete in den Flur und fuhr sich in unmißverständlicher Geste mit dem Finger über den Hals.
    »Gefährlich dort?« fragte ich. »Hast wahrscheinlich recht. Dieses Schiff würde manches Schlachtfeld, das ich gesehen habe, wie einen öffentlichen Park erscheinen lassen. Also gut, ich gehe nicht hinaus.«
    Meine geschwollenen Lippen erschwerten das Sprechen, aber er hatte mich offenbar verstanden und lächelte sodann.
    »Zak?« fragte ich, auf ihn deutend.
    Er lächelte wieder und nickte.
    Ich klopfte mir auf die Brust. »Severian.«
    »Severian!« Er grinste, wobei er spitze Zähnchen zeigte, und führte einen kleinen Freudentanz auf. Froh nahm er mich beim linken Arm und führte mich zum Lumpenhaufen zurück.
    Obwohl seine Hand braun war, schien sie im Halbdunkel schwach zu leuchten.
     

 
Zwischenspiel
     
    »Hast einen harten Schlag auf den Schädel abbekommen«, sagte Gunnie. Sie saß neben mir und sah zu, wie ich mein Schmorfleisch aß.
    »Ich weiß.«
    »Ich hätte dich in die Krankenstube bringen sollen, aber es ist gefährlich draußen. Da läßt man sich am besten gar nicht blicken.«
    Ich nickte. »Das gilt besonders für mich. Zwei Leute haben versucht, mich umzubringen. Vielleicht drei. Womöglich vier.«
    Sie musterte mich argwöhnisch, als hätte mein Verstand Schaden genommen durch den Sturz.
    »Ganz im Ernst. Deine Freundin Idas zum Beispiel. Sie ist jetzt tot.«
    »Hier, Wasser. Willst du sagen, Idas ist eine Frau gewesen?«
    »Ja, ein Mädchen.«
    »Und ich habe das nicht gewußt?« Gunnie zögerte. »Bildest du dir das nicht nur ein?«
    »Ist nicht wichtig. Wichtig ist, daß sie versucht hat, mich umzubringen.«
    »Und du hast den Idas umgebracht?«
    »Nein, sie hat sich selbst umgebracht. Aber es gibt mindestens noch einen, wenn nicht mehr. Aber die hast du nicht gemeint, Gunnie. Du hast wohl die gemeint, die Sidero als Gierer bezeichnet hat. Was sind das für welche?«
    Sie rieb sich mit dem Zeigefinger die Augenwinkel, die weibliche Entsprechung für das männliche Kopfkratzen. »Ich weiß nicht, wie ich’s erklären soll. Ich weiß nicht mal, ob ich’s verstehe.«
    Ich sagte: »Versuch’s, Gunnie, bitte. Es ist vielleicht wichtig.«
    Als Zak, der Wache hielt, die Dringlichkeit meiner Stimme vernahm, unterbrach er seine selbstauferlegte

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