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Die Urth der Neuen Sonne

Die Urth der Neuen Sonne

Titel: Die Urth der Neuen Sonne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gene Wolfe
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Stufen mit einem Schritt.
    Ich hielt inne, machte kehrt und ging wieder hinunter.
    »Dafür bringe ich dich um.«
    »Daß ich zurückgehe und Messer und Pistole hole? Das solltest du aber nicht, vielleicht brauchen wir sie.« Ich bückte mich und hob sie auf, das Messer mit der rechten, die Pistole mit der linken Hand in Sideros Hand. Mein Gürtel war halb durch den Gitterboden gerutscht; aber ich konnte ihn ohne Mühe bergen, fädelte Scheide und Halfter ein und schnallte ihn um Sideros Taille, so daß eben noch ein Daumen dazwischenpaßte.
    »Raus!«
    Ich hängte ihm meinen Mantel über die Schulter. »Sidero, auch ich habe Leute in mir gehabt, selbst wenn du es nicht glaubst. Es kann angenehm und hilfreich sein. Weil ich bin, wo ich bin, haben wir einen rechten Arm. Du sagst, du bist loyal zum Schiff. Das bin ich auch. Werden wir …«
    Etwas Bleiches senkte sich aus dem bleichen Nebel herab. Seine Flügel waren durchscheinend wie Insektenflügel, aber elastischer als Fledermausflügel. Und sie waren riesig, so breit, daß sie den Treppenabsatz, auf dem wir standen, umschlossen wie die Vorhänge eines Leichenwagens.
    Plötzlich konnte ich wieder hören. Sidero hatte die Schaltung betätigt, welche die Geräusche aus seinen Ohren in die meinen übertrug; oder aber er war einfach abgelenkt, um ihr Funktionieren zu unterbinden. Wie dem auch sein mochte, ich hörte den Wind, der um uns herum brauste, den Wind der großen gespenstischen Flügel, ein Zischen wie von tausend abgeschreckten Klingen.
    Ich hielt die Pistole in der Hand, obwohl ich nicht merkte, wie ich sie zog. Verzweifelt hielt ich Ausschau nach einem Kopf oder Klauen oder einem andern Ziel. Da war nichts, und dennoch packte mich etwas an den Beinen und hob mich samt Sidero hoch, wie ein Kind eine Puppe hebt. Ich schoß ziellos. Ein Riß – aber ach, welch kleiner Riß! – tat sich in den titanischen Schwingen auf, den nur ein schmaler verkohlter Rand andeutete.
    Das Geländer schlug gegen meine Knie. Dabei schoß ich abermals, und es roch nach Rauch.
    Es war offenbar mein Arm, der brannte. Ich schrie auf. Sidero kämpfte aus eigenen Stücken mit der beflügelten Kreatur. Er hatte das Jagdmesser gezückt, und ich fürchtete im ersten Moment, er hätte mir den Arm geschlitzt, daß das Brennen, das ich spürte, der Schmerz war, den man fühlt, wenn Schweiß in eine Wunde kommt. Ich überlegte schon, meine Pistole auf ihn zu richten, als ich erkannte, daß meine eigene Hand in der seinen steckte.
    Das Grauen des Revolutionärs erfaßte mich wieder; verzweifelt versuchte ich, mich zu vernichten, und wußte nicht mehr, ob ich Severian war oder Sidero, Thecla die lebende, oder Thecla die tote. Wir purzelten kopfüber.
    Wir fielen.
    Es war unbeschreiblich grauenhaft. Im Kopf wußte ich, daß wir nur langsam fallen konnten im Schiff; irgendwie ahnte ich zudem noch, daß wir in den tieferen Geschossen nicht schneller fielen. Und dennoch fielen wir, daß die Luft immer schneller vorbeibrauste und der Luftschacht zu einem dunklen verschwommenen Streifen wurde.
    Es war alles ein Traum gewesen. Ich war an Bord eines großen Schiffes, das auf allen Seiten Decks hatte, gegangen und in einen Eisenmann gekrochen. Nun war ich endlich erwacht, lag auf dem eisigen Hang des Berges jenseits von Thrax, sah zwei Sterne und stellte mir halb träumend vor, es wären Augen.
    Mein rechter Arm war zu nahe ans Feuer gerückt, aber da war kein Feuer. Also war es die Kälte, die so brannte. Valeria legte mich auf weicheren Boden.
    Die tiefste Glocke im Glockenturm läutete. Der Glockenturm hatte sich nachts auf einer Flammensäule erhoben und bei Sonnenaufgang am Acis niedergelassen. Die eherne Stimme der großen Glocke hallte zu den Felsen, die widerhallten vom Echo.
    Dorcas hatte ›Tiefe Glocken von draußen‹ abgespielt.
    Hatte ich meinen letzten Text gesprochen? »In künftigen Zeiten, so wird seit langem gesagt, wird der Tod der Alten Sonne die Urth vernichten. Aber ihrem Grab werden Ungetüme, ein neues Volk und die Neue Sonne entsteigen. Die alte Urth wird sich entfalten wie ein Schmetterling, der seiner trockenen Hülse entschlüpft, und die Neue Urth wird man Ushas heißen.«
    Getöse! Prophet geht ab.
    Die Flügeltragende aus Vater Inires Buch erwartete mich in den Flügeln. Sie klatschte einmal streng in die Hände, wie eine große Dame ihre Zofe ruft. Als sich die Hände auseinanderbewegten, tauchte darin ein gleißender Lichtpunkt auf, ein heiß flammender. Mir war, als

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