Die Urth der Neuen Sonne
nicht unterbrechen. »Soll das heißen, die Schiffsoffiziere tragen euch wie Kleidung?«
»Jetzt nur noch selten. Das Zeichen sieht aus wie ein Stern mit einer geraden Linie daneben.«
»Ich weiß«, sagte ich, während ich überlegte, was ich tun sollte, und den Hohlraum in ihm abschätzte. Mein Gürtel mit dem Messer und der Pistole im Halfter würden nie hineinpassen, dachte ich; aber ohne diese ginge ich wohl hinein.
Ich sagte zu Sidero: »Moment! Ich muß mich mehr bücken, um es zu finden. Diese Dinger drücken mich.« Ich schnallte den Gürtel ab und legte ihn nieder und daneben die Scheide und die Pistole im Halfter. »Wäre einfacher, wenn du dich hinlegen würdest.«
Er legte sich hin, und zwar schneller und geschmeidiger, als ich es ihm zugetraut hätte, nachdem die Blutung nun ziemlich gestillt war.
»Beeil dich! Ich habe keine Zeit zu verlieren.«
»Hör mal«, meinte ich, »wenn jemand hinter dir her wäre, so wäre er längst hier, aber ich kann nicht mal jemanden hören.« Während ich mich untätig gab, überlegte ich fieberhaft; die Idee schien verrückt, dennoch hätte ich, wenn es machbar wäre, Schutz und Tarnung. Ich hatte schon oft Rüstung getragen. Warum keine bessere Rüstung?
»Meinst du, ich würde davonrennen?«
Ich hörte, was Sidero sagte, achtete aber kaum darauf. Ich hatte kurz zuvor gesprochen; jetzt war etwas anderes zu hören, und nachdem ich gelauscht hatte, wußte ich, was es war: mächtiges Flügelschlagen.
Die leere Luft
Die Messerspitze steckte bereits im Schlitz. Ich drehte daran, riß mir den Mantel herunter und rollte mich in Sideros geöffneten Leib. Ich hielt erst Ausschau, welche Kreatur jene Flügel trugen, als ich den Kopf einigermaßen schmerzhaft in den seinen geschoben hatte und durch sein Visier sehen konnte.
Selbst jetzt sah ich nichts oder so gut wie nichts. Der Luftschacht, der bis vorhin ziemlich klar gewesen war in dieser Tiefe, schien sich nun mit Nebel zu füllen; irgend etwas hatte kühle Luft von oben herangeführt und mit der feuchtwarmen stinkenden Luft vermischt, die wir atmeten. Irgend etwas, das diesen Nebel nun aufwühlte, als würden sich tausend Gespenster hindurchtasten.
Nun konnte ich weder die Flügel noch sonst etwas hören. Mir war, als würde ich mit dem Kopf in einer staubigen Stahlkassette stecken und durchs Schlüsselloch spähen. Dann ertönte Sideros Stimme – aber nicht in meinem Ohr.
Ich weiß nicht, wie ich es beschreiben soll. Es ist mir durchaus vertraut, die Gedanken von jemand anders im Kopf zu spüren: Theclas Gedanken und die Gedanken des alten Autarchen tauchten dort auf, ehe ich eins mit ihnen wurde. Aber das war es nicht. Allerdings war es auch kein Hören, wie ich es kannte. Am zutreffendsten ist, wenn ich sage, da war etwas, das hörte, hinterm Ohr; und daß Sideros Stimme mich dort erreichte, ohne durch das Ohr zu dringen.
»Ich kann dich töten.«
»Nachdem ich dich repariert habe? Undank ist mir nicht neu, neu freilich in diesem Ausmaß.« Seine Brust hatte sich eng geschlossen, und ich versuchte mühsam, meine Beine in die seinen zu schieben, indem ich mich mit den Händen gegen seine Schultern stemmte. Wenn ich draußen einen Moment hätte länger warten können, so hätte ich die Stiefel ausgezogen. Dann wäre es leicht gewesen. So aber hatte ich das Gefühl, mir beide Knöchel gebrochen zu haben.
»Du hast kein Recht, in mir zu sein!«
»Ich habe jedes Recht dazu. Du bist gemacht zum Schutz der Menschen, und ich bin ein Mensch, der Schutz braucht. Hast du die Flügel nicht gehört? Du kannst mir nicht einreden, daß solches Getier frei herumlaufen darf im Schiff.«
»Sie haben die Apporte befreit.«
»Wer?« Endlich konnte ich das gesunde Bein strecken. Mit dem lahmen Bein hätte es leichter gehen sollen wegen der geschwundenen Muskeln; aber ich hatte einfach nicht die Kraft, es ganz hineinzuschieben.
»Die Gierer.«
Ich spürte, wie ich gebeugt wurde, wie man zuweilen beim Ringen gebeugt wird: Sidero setzte sich auf. Dann stand er auf, wobei sich beim Stehen meine Position gerade so weit änderte, daß ich das lahme Bein ausstrecken konnte. Es war daraufhin ein Kinderspiel, den linken Arm in den seinen zu stecken. Der rechte drang gleichfalls mühelos in seinen ehemals rechten Arm, aber ragte nun, nur an der Schulter geschützt, aus dem beschädigten Armstück.
»So ist’s besser«, sagte ich. »Warte einen Moment!«
Er sprang statt dessen die Treppe hinauf und schaffte nun drei
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