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Die Urth der Neuen Sonne

Die Urth der Neuen Sonne

Titel: Die Urth der Neuen Sonne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gene Wolfe
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tiefblau wie das hiesige Meer, vom Alter ungebrochen. Vielleicht war es etwas ganz anderes, dessen ich mir nicht bewußt wurde. Abermals fühlte ich, was ich in so viel jüngeren Jahren gefühlt hatte, als ich Agia begegnete – ein Verlangen, das mich in seiner Heftigkeit geistiger als jeder Glaube anmutete, dessen körperliche Züge die Glut des Begehrens versengte und tilgte.
    »… nach der Voruntersuchung«, sagte sie.
    »Natürlich«, antwortete ich, »natürlich. Ich bin Euer Gnaden Diener.« Ich wußte nicht recht, auf was ich mich einließ.
    Eine breite Treppe aus weißem Stein, von Springbrunnen flankiert, erhob sich vor uns luftig beschwingt wie ein Wolkenturm. Mit einem neckischen Lächeln, das ich ungemein anziehend fand, blickte sie auf. »Wenn du wahrlich mein Diener bist, so möchte ich über die Treppe getragen werden, ob Hinkebein oder nicht.«
    »Das tue ich gern«, sagte ich und bückte mich, um sie aufzuheben.
    »Nein, nein!« Schon stieg sie die Stufen mit jugendlicher Leichtigkeit empor. »Was würden deine Schiffskameraden denken?«
    »Sie würden es sicher für eine Auszeichnung halten, Frau.«
    Lächelnd flüsterte sie: »Dächten sie nicht, du hättest die Urth aufgegeben, wärst abtrünnig geworden? Aber es bleibt noch ein Moment Zeit, bis wir im Gericht sind, und ich will versuchen, deine Fragen zu beantworten, so gut ich kann. Wir sind nicht lauter Hierogrammaten. Sind auf Urth alle Kinder von Sannyasins etwa selbst Heilige? Ich spreche nicht in deiner Sprache, wie keiner von uns in deiner Sprache spricht und wie auch du nicht sprichst, wie wir sprechen.«
    »Gnä’ Frau …«
    »Du verstehst nicht.«
    »Nein.« Ich suchte nach Worten, aber was sie gesagt hatte, erschien mir dermaßen absurd, daß ich nicht wußte, was ich darauf sagen sollte.
    »Ich erklär’s dir nach der Untersuchung. Aber nun muß ich dich um einen kleinen Gefallen bitten.«
    »Gern, Frau.«
    »Danke. Du sollst die Inkarnation zur Anklagebank führen.«
    Ich sah sie verdutzt an.
    »Wir prüfen ihn, wir urteilen über ihn im Namen der Völker der Urth, die ihn an ihrer Stelle nach Yesod entsandt haben. Zum Zeichen dafür muß jemand von Urth, der in freilich weniger prominenter Weise gleichfalls seine Welt vertritt, ihn geleiten.«
    Ich nickte. »Das tue ich für dich, Frau, wenn du mir zeigst, wohin ich ihn bringen soll.«
    »Gut.« Sie wandte sich an den Mann und die andere Frau mit den Worten: »Der Wächter ist bestellt.« Diese nickten, woraufhin sie den Gefangenen beim Arm packte und ihn (obwohl er sich leicht hätte widersetzen können) vor mich zerrte. »Wir bringen deine Schiffskameraden in den Gerichtssaal, wo ich das Vorgehen erklären werde. Du bedarfst, glaube ich, einer Erklärung nicht. Wie – wie heißt du?«
    Ich zögerte und überlegte, ob ihr der Name der eigentlichen Inkarnation vielleicht ein Begriff wäre.
    »Komm, ist das ein so großes Geheimnis?«
    Bald müßte ich sowieso ein Geständnis ablegen, obwohl ich hoffte, zuvor die Voruntersuchung hören zu können, um besser gewappnet zu sein, wenn ich an die Reihe käme. Am Säulengang angekommen, sagte ich: »Severian. Darf man fragen, wie du heißt, Frau?«
    Ihr Lächeln war so unwiderstehlich wie beim ersten Mal. »Es besteht keine Notwendigkeit für dergleichen unter uns, aber da ich nun jemanden kenne, der Namen braucht, will ich Apheta heißen.« Sie sah mein Zweifeln und setzte hinzu: »Keine Angst, jeder, der den Namen hört, wird wissen, wen du meinst.«
    »Danke, Frau.«
    »Nun nimm ihn! Der Bogen zu deiner Rechten.« Sie deutete hinüber. »Durch den geh. Du kommst in einen langen elliptischen Korridor, aus dem du nicht entweichen kannst, weil keine Türen von ihm abgehen. Folge ihm bis zum Ende, und er führt dich in den Vernehmungssaal. Betrachte seine Hände; siehst du, wie sie gefesselt sind?«
    »Ja, Frau.«
    »Im Saal siehst du den Ring, an dem die Handschellen festgemacht werden. Führ ihn dorthin und kette ihn an – da ist ein Haken mit beweglichem Verschluß, den du sofort verstehst – und nimm deinen Platz bei den Zeugen ein. Wenn die Vernehmung vorbei ist, warte auf mich. Ich werde dir alle Wunder der Insel zeigen.«
    Ihr Tonfall verriet, was sie meinte. Ich verneigte mich und sagte: »Frau, ich bin deiner nicht würdig.«
    »Das laß nur mich beurteilen. Geh nun. Tu, was ich gesagt habe, und du erhältst deinen Lohn.«
    Nach einer zweiten Verbeugung wandte ich mich um und nahm den Riesen beim Arm. Ich sagte bereits,

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