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Die Urth der Neuen Sonne

Die Urth der Neuen Sonne

Titel: Die Urth der Neuen Sonne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gene Wolfe
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Ausschnitts – meine Person.
    Es war das letzte Fenster. Der düstere Korridor endete, und vor mir tat sich ein zweiter Bogen auf, der in der Sonne strahlte. Bei seinem Anblick wußte ich mit der krankmachenden Gewißheit, die nur nachvollziehen kann, wer in der Zunft aufgewachsen ist, daß mir mein Klient entwischt war.
    Ich stürmte durch den Torbogen und sah ihn verwirrt im Säulengang des Justizpalastes stehen, wo ihn eine wogende Menge umringte. Im selben Moment sah er auch mich und versuchte sich durch die Menge zum Haupteingang zu zwängen.
    Ich rief, man solle ihn aufhalten, aber die Menge bildete eine Gasse vor ihm, während sie mich anscheinend absichtlich behinderte. Ich fühlte mich wie in einem der Alpträume, die mich als Liktor von Thrax heimgesucht hatten, und glaubte schon, jeden Moment keuchend zu erwachen und die drückende Klaue an der Brust zu spüren.
    Eine schmächtige Frau aus der Menge stürzte sich auf Zak und faßte ihn am Arm, aber der schüttelte sich nur, wie ein Stier sich schüttelt, um sich der Spieße in der Haut zu entledigen. Sie stürzte, packte ihn aber am Fußgelenk.
    Das reichte. Ich bekam ihn zu fassen, und obwohl ich wieder einmal lahm war hier, wo Yesod mit gleicher oder nahezu gleicher Gier wie Urth alles an sich zog, war ich doch stark und er immerhin gefesselt. Den Arm um seinen Hals geschlungen, beugte ich ihn nach hinten, wie man einen Bogen spannt. Augenblicklich ließ er locker; und ich wußte, wie man zuweilen auf mysteriöse Weise durch eine bloße Berührung spürt, was ein anderer beabsichtigt, daß er mir keinen Widerstand mehr leisten werde. Ich ließ ihn los.
    »Wehr mich nicht«, sagte er. »Lauf nicht mehr weg.«
    »Gut«, meinte ich darauf und bückte mich, um die Frau aufzuheben, die mir geholfen hatte. Nun erkannte ich sie wieder und richtete, ohne lange zu überlegen, den Blick auf ihr Bein. Es war völlig normal, das heißt vollständig geheilt.
    »Danke«, murmelte ich. »Danke, Hunna.«
    Sie machte große Augen. »Hielt Euch für meine Herrin. Weiß nicht warum.«
    Oftmals muß ich mich beherrschen, um nicht Theclas Stimme über meine Lippen kommen zu lassen. Nun ließ ich es zu. Wir sagten noch einmal danke und setzten hinzu: »Du hast dich nicht geirrt«; und lächelten ob ihrer Verwirrung. Kopfschüttelnd tauchte sie wieder in die Menge ein, und ich bemerkte eine hochgewachsene Frau mit dunklem lockigen Haar, die durch den Bogen trat, in den ich Zak geführt hatte. Selbst nach so vielen Jahren konnte kein Zweifel, keinerlei Zweifel bestehen. Wir versuchten, sie beim Namen zu rufen. Der Name blieb uns im Hals stecken, so daß wir kläglich verstummten.
    »Nicht weinen«, sagte Zak, dessen tiefe Stimme irgendwie kindlich klang. »Bitte nicht. Es wird bestimmt alles wieder gut.«
    Ich wollte ihm sagen, daß ich nicht weinte, als ich merkte, daß ich doch weinte. Falls ich je geweint habe, dann in früher Kindheit, so daß ich es praktisch vergessen habe: Der Lehrling lernt, die Tränen zu beherrschen; wenn nicht, wird er von den übrigen Lehrlingen gefoltert, bis der Tod eintritt. Thecla hatte manchmal geweint, weinte öfter in der Zelle. Thecla, die ich gerade gesehen hatte.
    Ich sagte: »Ich weine, weil ich unbedingt zu ihr will. Wir müssen hineingehen.«
    Er nickte, und so nahm ich ihn beim Arm und führte ihn in den Vernehmungssaal. Der Korridor, in den die Dame Apheta mich geschickt hatte, verlief rings um den Saal, und ich führte Zak durch einen breiten Mittelgang, während uns die Seeleute von den erhöhten Sitzen betrachteten. Es waren allerdings mehr Sitzplätze vorhanden als Seeleute, so daß diese nur die vordersten Reihen einnahmen.
    Vor uns stand der Richterstuhl, der weitaus erhabener und strenger war als jeder Richterstuhl, den ich auf Urth gesehen hatte. Der Phönixthron war – oder ist, falls er noch existiert unter den Wassern – ein wuchtiger güldener Stuhl, auf dessen Lehne jener Vogel abgebildet ist, der als Symbol der Unsterblichkeit gilt, dargestellt in Gold, Jade, Karneol und Lapislazuli; den Sitz (der ansonsten höllisch unbequem gewesen wäre) schmückte ein samtenes Kissen mit goldenen Quasten.
    Der Richterstuhl des Hierogrammaten Tzadkiel war ganz, ganz anders, war gar kein Stuhl, sondern eher ein riesiger Findling aus weißem Gestein, den die Zeit und der Zufall so geformt hatten, daß er einem Sitzmöbel insoweit glich, wie eine Wolke, in der wir das Gesicht eines Geliebten oder das Haupt eines Paladins zu erkennen

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