Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Urth der Neuen Sonne

Die Urth der Neuen Sonne

Titel: Die Urth der Neuen Sonne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gene Wolfe
Vom Netzwerk:
glauben, der eigentlichen Person gleicht.
    Apheta hatte mir nur gesagt, ich würde einen Ring vorfinden im Saal, und während ich mit Zak langsam durch den langen Gang schritt, suchte ich einen Moment lang mit den Augen danach. Der Ring war, was ich zunächst für den einzigen Schmuck des Richterstuhls gehalten hatte: ein schmiedeeiserner Reif, den ein wuchtiger Eisenhaken hielt, der am Ende einer der Armlehnen in den Stein getrieben war. Nun suchte ich nach der erwähnten Schließe, aber sah keine. Dennoch führte ich Zak zum Ring in der Annahme, es werde dort sicher jemand hervortreten und mir helfen.
    Niemand half. Ein Blick auf die Handschellen genügte, und ich verstand alles, wie Apheta angekündigt hatte. Dort befand sich die Schließe. Sie war, wie ich fand, so leicht zu öffnen, daß auch Zak sie mit dem Finger aufbekommen hätte. Sie hielt die einzelnen Ketten um die Handgelenke zusammen, so daß das Ganze mit Öffnen der Schließe abfiel. Ich hob es auf, streifte mir die Ketten über die Handgelenke, erhob die Hände über den Kopf, so daß ich die Schließe in den Ring haken konnte, und wartete darauf, vernommen zu werden.
    Eine Vernehmung fand nicht statt. Die Matrosen sperrten den Mund auf. Ich hatte gedacht, man würde Zak ergreifen, um seine Flucht zu verhindern. Aber man ließ ihn in Ruhe. Er hockte sich zu meinen Füßen auf den Boden, aber nicht im Schneidersitz (wie ich es an seiner Stelle getan hätte): seine Art zu sitzen erinnerte mich zunächst an einen Hund, dann an ein Atrox oder eine andere Großkatze.
    « Ich bin die Inkarnation der Urth und aller ihrer Völker«, erklärte ich den Matrosen. Es war die gleiche Rede, die der alte Autarch gehalten hatte, wie mir erst auffiel, als ich damit begann, obwohl seine Vernehmung so ganz anders ausgefallen war. »Ich bin hier, weil ich sie alle in mir trage, ob Mann oder Frau oder auch Kind, ob arm oder reich, jung oder alt, ob jene, welche die Welt retten, oder jene, welche sie plündern und ihr aus Gewinnsucht den Todesstoß versetzen wollten.«
    Ohne mein Zutun stellten sich die Worte ein. »Ich bin auch hier, weil ich der rechtmäßige Herrscher der Urth bin. Wir haben viele Nationen, wovon manche größer sind als unsre Republik und stärker; aber wir Autarchen, und wir allein, denken nicht nur an die eigenen Länder, sondern wissen, daß unser Wind in allen Bäumen weht und unsre Gezeiten alle Gestade umspülen. Dies habe ich bewiesen, indem ich hier stehe. Und daß ich hier stehe, beweist, daß ich berechtigt bin.«
    Die Matrosen hörten sich all das schweigend an; aber noch während ich sprach, suchte ich hinter den Matrosen nach den andern, wenigstens nach der Dame Apheta samt Begleitung. Sie waren nicht zu sehen.
    Dennoch gab es noch andere Zuhörer. Die Menge vom Säulengang stand nun im Portal, durch das Zak und ich hereingekommen waren. Als ich meine Rede schloß, marschierten sie im Gänsemarsch in den Vernehmungssaal, wobei sie nicht den Mittelgang beschritten, den wir und den sicherlich auch die Matrosen genommen hatten, sondern sich links und rechts verteilten auf die Seitengänge zwischen Bänken und Wand.
    Ich hielt die Luft an, denn es war darunter auch Thecla, in deren Augen ich solches Mitleid, solche Trauer sah, daß mir das Herz stockte. Ich habe mich selten gefürchtet, aber nun wußte ich, daß ihr Mitleid, ihre Trauer, die mir in ihrer Intensität Angst machten, mir galten.
    Schließlich wandte sie sich von mir ab, wie auch ich mich von ihr abwandte. Dann sah ich Agilus in der Menge und Morwenna mit dem schwarzen Haar und dem Brandmal auf den Wangen.
    Bei ihnen waren noch hundert andere, Gefangene aus unsrer Oubliette und den Vincula von Thrax, Missetäter, die ich ausgepeitscht hatte im Namen von provinziellen Obrigkeiten und Mörder, die ich in deren Namen hingerichtet hatte. Und Aberhunderte mehr: Ascier, die große Idas und die verhärmte Casdoe mit dem kleinen Severian auf dem Arm, Guasacht und Erblon mit unserm grünen Schlachtbanner.
    Ich blickte zu Boden und erwartete gesenkten Hauptes die erste Frage.
    Es gab keine Fragen. Eine sehr lange Zeit nicht – schriebe ich davon, wie lange mir diese Zeit vorkam oder wie lange sie tatsächlich dauerte, so würde mir keiner glauben. Als wieder gesprochen wurde, stand die Sonne tief am hellen Himmel von Yesod und griff mit langen düstern Fingern die Nacht nach der Insel.
    Mit der Nacht kam noch einer. Ich hörte das Kratzen der Klauen auf dem steinernen Boden, dann eine

Weitere Kostenlose Bücher