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Die Urth der Neuen Sonne

Die Urth der Neuen Sonne

Titel: Die Urth der Neuen Sonne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gene Wolfe
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durch die Seiten des Fliegers (wie ich glaubte) und spürte den Wind, den herrlichen Wind von Yesod mit der reinen Frische des salzlosen Meeres und den Düften seiner prächtigen Gärten und dem Atem des Lebens und merkte, daß die Seiten des Fliegers, die bisher nicht zu sehen waren, tastbar wurden, so daß wir wie auf einem schmalen Floß, von den Flügeln bedacht, dahinglitten. Und ich sah viel.
    Wie zu erwarten war, schubste einer der Matrosen eine Kameradin ins Wasser; aber weiter drunten am langen Rumpf wurde sie wieder herausgezogen. Obwohl sie sich zeternd übers kalte Wasser beschwerte, war es nicht so kalt, daß ihre Gesundheit Schaden genommen hätte, wie ich feststellte, als ich mich bückte und die Hände eintauchte.
    Dann schöpfte ich mit hohlen Händen, soviel sie faßten, und trank es, das Wasser von Yesod. Obwohl es kühl war, empfand ich es als Wohltat, als mir etwas Wasser über die Brust lief. Denn ich erinnerte mich an eine Geschichte im braunen Buch, das ich einmal zum Gedenken an Thecla bei mir getragen hatte; sie handelte von einem, der spät nachts ein ödes Land durchquerte und ein Paar tanzen sah, zu dem er sich gesellte; als der Tanz beendet war, ging er mit ihnen und wusch das Gesicht in einem Quell, der bei Tage nicht sichtbar war, und trank von seinem Wasser.
    Dann ging sein Weib, wozu ein gewisses schlaues Ding ihm riet, auf den Tag genau ein Jahr später zur selben Stelle und vernahm dort wilde Musik und hörte ihren Mann vorsingen und viele Füße tanzen – aber sah niemanden. Und als sie jenes Ding dazu befragte, erfuhr sie, daß ihr Mann von den Wassern einer andern Welt getrunken und darin gebadet habe und nie mehr zu ihr zurückkehre.
    Und er kam nie wieder.
    Ich hielt mich abseits von den Matrosen, als wir zur weißen Straße zogen, die vom Liegeplatz zum Bauwerk auf dem Hügel führte, indem ich so nahe bei dem Trio und dem Gefangenen ging, wie es sich kein anderer getraute. Allerdings war ich nicht Manns genug, den dreien zu offenbaren, wer ich sei, obwohl ich wenigstens hundertmal dazu ansetzte, ohne einen Laut über die Lippen zu bringen. Schließlich fragte ich nur, ob die Verhandlung noch heute oder morgen stattfinde.
    Die Frau, die zu uns gesprochen hatte, blickte über die Schulter zurück und lächelte. »Bist so erpicht auf sein Blut?« fragte sie. »Ich muß dich enttäuschen. Der Hierogrammat Tzadkiel sitzt heute nicht zu Gericht, also führen wir nur die Voruntersuchung durch. Dies kann auch in seiner Abwesenheit geschehen, wenn es sein muß.«
    Ich schüttelte den Kopf. »Glaub mir, Frau, ich habe viel Blut gesehen; es gelüstet mich nicht danach.«
    »Warum bist du dann hier?« erkundigte sie sich, noch immer lächelnd.
    Ich sagte ihr die Wahrheit, allerdings nicht die ganze Wahrheit. »Weil ich es als meine Pflicht ansehe. Aber sag, angenommen, Tzadkiel sitzt auch morgen nicht zu Gericht. Werden wir hier warten dürfen auf ihn? Seid ihr nicht lauter Hierogrammaten? Seid ihr alle unsrer Zunge kundig? Ich war erstaunt, sie aus deinem Mund zu vernehmen.«
    Ich war einen halben Schritt hinter ihr, so daß sie sich mehr oder weniger umdrehen mußte beim Sprechen. Nun fiel sie, noch freundlicher lächelnd, hinter die andern zurück und hängte sich bei mir ein. »So viele Fragen. Wie soll ich die alle behalten, geschweige denn beantworten?«
    Ich schämte mich und murmelte eine Entschuldigung; aber die Berührung ihrer Hand, die warm und begehrend nach der meinen griff, machte mich so nervös, daß ich nur ein Stammeln hervorbrachte.
    »Nichtsdestoweniger will ich es dir zuliebe versuchen. Tzadkiel wird morgen hier sein. Fürchtest du, du kommst nicht rechtzeitig zurück zum Scheuern und Lastenschleppen?«
    »Nein, Frau«, brachte ich hervor. »Ich würde für immer hierbleiben, wenn ich könnte.«
    Daraufhin verschwand das Lächeln aus ihrem Antlitz. »Du wirst alles in allem weniger als einen Tag auf dieser Insel bleiben. Du mußt – wir müssen, wenn du willst – das Beste daraus machen.«
    »Ich will«, gestand ich, und es war nicht einmal gelogen. Ich sagte bereits, sie war eine normal aussehende Frau mittleren Alters, und das stimmte: nicht groß, ein paar Fältchen um Mund und Augen, ergraute Schläfen. Dennoch hatte sie etwas an sich, das sie unwiderstehlich machte. Vielleicht lag das nur an der besonderen Atmosphäre der Insel – wie anziehend ist eine Beglückte fürs gemeine Volk! Vielleicht waren es die Augen, die strahlten und groß waren und blau,

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