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Die Urth der Neuen Sonne

Die Urth der Neuen Sonne

Titel: Die Urth der Neuen Sonne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gene Wolfe
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verstand ich, worauf sie hinaus wollte, und küßte sie; dieser Kuß gab mir Gewißheit, daß sie eine Frau meiner Rasse war.
    »Kennst du unsere Geschichte?« flüsterte sie, als wir uns voneinander lösten.
    Ich erzählte ihr, was mir Aquastor Malrubius in einer andern Nacht an einem andern Strand erzählt hatte: daß sich in einem früheren Manvantara die Menschen jenes Zyklus Gefährten geschaffen hatten aus anderen Rassen und diese bei der Vernichtung ihres Universums nach Yesod entkommen waren; daß sie unser Universum durch die Hierodulen beherrschten, welche sie selbst geschaffen hatten. Apheta schüttelte den Kopf, als ich geschlossen hatte. »Das ist längst nicht alles.«
    Davon, sagte ich, gehe auch ich aus, obwohl ich nicht mehr wisse, als ich berichtet hätte. Dann fügte ich hinzu: »Du sagst, ihr seid die Kinder der Hierogrammaten. Wer sind sie, und wer seid ihr?«
    »Sie sind diejenigen, von denen du gesprochen hast, diejenigen, die von einer euch artverwandten Rasse nach eurem Vorbild geschaffen worden sind. Was uns betrifft, so habe ich dir doch bereits gesagt, was wir sind.«
    Sie verstummte. »Weiter«, sagte ich, nachdem eine gewisse Zeit verstrichen war.
    »Severian, kennst du die Bedeutung des Wortes, das du benutzt hast? Die Bedeutung von Hierogrammat?«
    Ich antwortete, einmal erfahren zu haben, daß damit jene bezeichnet werden, welche die Erlasse des Increatus verzeichnen.
    »Stimmt schon.« Sie machte wieder eine Pause. »Vielleicht ist unsere Scheu zu groß. Jene, die wir nicht beim Namen nennen, die besagten Artverwandten, lösen nach wie vor derartige Gefühle aus, obwohl von allen ihren Werken nur die Hierogrammaten verbleiben. Du sagst, sie wünschten sich Gefährten. Wie konnten sie sich Gefährten schaffen, entwickelten sie sich doch immer höher?«
    Ich räumte ein, darauf keine Antwort zu wissen; und da sie nicht gewillt zu sein schien, mir mehr zu sagen, beschrieb ich das geflügelte Wesen, das ich in Vater Inires Buch gesehen hatte, und fragte, ob das nicht ein Hierogrammat gewesen sei.
    Sie bejahte. »Aber jetzt genug von denen. Du hast nach uns gefragt; wir sind ihre Larven. Weißt du, was eine Larve ist?«
    »Aber ja«, erwiderte ich. »Maskierter Geist.«
    Apheta nickte. »Wir tragen ihren Geist in uns, und müssen, genau wie du gesagt hast, maskiert bleiben, bis wir ihren hohen Zustand erreichen – nicht mit einer richtigen Maske, wie unsere Hierodulen sie tragen, sondern mit dem Äußeren deiner Rasse, der Rasse, welche unsere Eltern, die Hierogrammaten, ursprünglich zur Nachfolge hervorgebracht haben. Dennoch sind wir noch keine Hierogrammaten, noch sind wir echte Menschen wie ihr. Lange hast du nun meiner Stimme gelauscht, Autarch. Lausche nun statt dessen der Welt von Yesod und berichte mir, was du noch hörst neben meiner Stimme, wenn ich zu dir spreche. Horch! Was hörst du?«
    Ich verstand nicht. »Nichts«, sagte ich. »Aber du bist ein Mensch.«
    »Du hörst nichts, weil wir durch Stille sprechen, genau wie ihr mit Lauten sprecht. Was wir an Lauten finden, das formen wir, indem wir tilgen, was überflüssig ist, und unsere Gedanken mit dem Rest ausdrücken. Deshalb habe ich dich hierhergeführt, wo immerfort die Wellen murmeln; und deshalb haben wir so viele Springbrunnen und Bäume, in deren Laub der Wind vom Meer raschelt.«
    Ich hörte sie kaum. Etwas Riesiges und Helles – ein Mond, eine Sonne – stieg auf, die verrückte Form in gleißendes Licht getaucht. Es war, als tauche ein güldener Same, von Milliarden schwarzer Fäden getragen, in die Atmosphäre dieser wunderlichen Welt ein. Das Schiff war’s. Und die Sonne namens Yesod leuchtete den gewaltigen Rumpf an und wurde mit einer Helligkeit reflektiert, die wie der lichte Tag wirkte.
    »Sieh!« rief ich Apheta zu.
    Und sie rief: »Sieh! Sieh!« und deutete auf ihren Mund. Und ich sah, daß das, was ich beim Küssen für Zunge gehalten hatte, nur ein Gewebestummel war, der aus dem Gaumen ragte.
     

 
Das Schneckenhaus
     
    Wie lange das Schiff am Himmel stand, das weiß ich nicht. Bestimmt nicht länger als eine Wache lang, obwohl es mir wie ein Moment vorkam. Solange es dort schwebte, hatte ich Augen für nichts anderes. Was Apheta mittlerweile tat, das kann ich nicht sagen. Als das Schiff verschwunden war, sah ich sie auf einem Stein am Wasser sitzen, von wo aus sie mich beobachtete.
    »Ich habe so viele Fragen«, sagte ich. »Daß ich Thecla sah, war so aufregend, daß ich sie alle vergaß; aber

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