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Die Urth der Neuen Sonne

Die Urth der Neuen Sonne

Titel: Die Urth der Neuen Sonne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gene Wolfe
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Kinderstimme: »Können wir jetzt nicht gehn?« Gekommen war der Alzabo, dessen Augen leuchteten in der Finsternis, die durchs Portal in den Vernehmungssaal eingezogen war.
    »Hält man euch fest hier?« fragte ich. »Nicht ich bin’s, der euch hält.«
    Hundertfach ertönten die Stimmen und riefen: »Ja, wir werden festgehalten 1 .«
    Nun wußte ich, daß nicht sie, sondern daß ich Fragen zu stellen hatte. Dennoch wollte ich es nicht wahrhaben. »Dann geht doch!« sagte ich. Aber keiner rührte sich von der Stelle.
    »Was ist es, was muß ich fragen?« wollte ich wissen. Ich bekam keine Antwort.
    Nun wurde es vollends Nacht. Weil das Bauwerk aus weißem Marmor bestand und die hoch aufschießende Kuppel durchbrochen war, hatte ich gar nicht gemerkt, daß es unbeleuchtet war. Als sich der Horizont über die Sonne schob, wurde es im Vernehmungssaal dunkler als in den Gewölben, die der Increatus unter stattlichen Baumkronen einrichtet. Die Gesichter lösten sich auf, erloschen wie Kerzenflammen; nur die Augen des Alzabos fingen das schwindende Licht noch ein und leuchteten rotglühend.
    Ich hörte die Matrosen bänglich raunen, hörte Messer mit einem leisen Ratsch aus ordentlich geölten Scheiden fahren. Ich rief ihnen zu, sie bräuchten sich nicht zu fürchten, dies seien meine Geister, nicht die ihren.
    Die Stimme der kleinen Severa rief in kindlichem Trotz: »Wir sind keine Geister!« Die roten Augen rückten näher, und wieder kratzten die schrecklichen Klauen auf dem steinernen Boden. Alles zitterte auf seinen Plätzen, so daß das Rascheln der Gewänder den Saal erfüllte.
    Ich rüttelte vergeblich an den Fesseln, tastete dann nach der Schließe und warnte Zak davor, sich dem Alzabo unbewaffnet in den Weg zu stellen.
    Gunnie (deren Stimme ich erkannte) schrie: »Sie ist nur ein Kind, Severian.«
    Ich antwortete: »Sie ist tot! Die Bestie spricht aus ihr.«
    »Sie reitet darauf. Sie sind hier bei mir.«
    Mit tauben Fingern fand ich die Schließe, öffnete sie aber nicht, erkannte ich doch plötzlich mit unumstößlicher Gewißheit, daß ich, befreite ich mich jetzt, um mich wie beabsichtigt unter den Matrosen zu verstecken, die Prüfung bestimmt nicht bestanden hätte.
    »Gerechtigkeit!« rief ich ihnen zu. »Ich habe versucht, gerecht zu sein, und das wißt ihr! Ihr mögt mich hassen, aber könnt ihr sagen, daß ich euch grundlos ein Leid getan habe?«
    Eine dunkle Gestalt sprang auf. Stahl blitzte wie die Augen des Alzabos. Auch Zak tat einen Satz, und ich hörte, wie die Waffe klappernd auf den steinernen Boden fiel.
     

 
Stille
     
    In dem Durcheinander konnte ich zunächst nicht sagen, wer mich befreit hatte. Ich wußte nur, daß es zwei waren, einer auf jeder Seite, und daß sie mich beim Arm nahmen, als ich frei war, und rasch um den Richterstuhl herum und eine schmale Stiege hinunterführten. Hinter uns war die Hölle los: Die Matrosen schrien und stampften, das Alzabo bellte.
    Es war eine lange schmale Stiege, die allerdings zur Öffnung in der Kuppelspitze ausgerichtet war; durch diese fiel schwaches Licht herab, letztes Dämmerlicht, das die verstreuten Wolken abstrahlten, obwohl die Sonne von Yesod bis zum nächsten Morgen verdeckt bliebe.
    Am Fuße der Stiege war es stockfinster, und ich merkte erst, daß wir draußen im Freien waren, als ich das Gras unter den Füßen und den Wind im Gesicht spürte.
    »Danke«, sagte ich. »Aber wer seid ihr nur?«
    Ein paar Schritte entfernt antwortete Apheta: »Freunde von mir. Du hast sie im Boot gesehen, das uns von eurem Schiff hierhergebracht hat.«
    Während sie dies sagte, ließen die beiden mich los. Ich bin versucht zu schreiben, daß sie sich in Luft auflösten, denn das war der Eindruck, den ich gewann; aber da täuschte ich mich wohl. Vielmehr gingen sie wahrscheinlich ohne ein Wort in die Nacht davon.
    Apheta nahm mich abermals bei der Hand. »Ich habe versprochen, dir Wunder zu zeigen.«
    Ich führte sie immer weiter weg von dem Gebäude.
    »Mir ist nicht nach Wundern zumute. Weder nach deinen Wundern noch nach den Wundern einer andern.«
    Sie lachte. Nichts ist bei Frauen öfter geheuchelt als das Lachen, eine reine Höflichkeitsgeste wie das Rülpsen der Autochthonen bei einem Fest; allerdings hatte ich den Eindruck, daß dieses Lachen von echter Belustigung zeugte.
    »Ich meine, was ich sage.« Die Angst, die ich durchgestanden hatte, ließ mich in kalten Schweiß ausbrechen, und ich fühlte mich geschwächt, aber damit hatte das Entsetzen,

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