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Die Urth der Neuen Sonne

Die Urth der Neuen Sonne

Titel: Die Urth der Neuen Sonne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gene Wolfe
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das Dorcas mir genäht hatte, den Dorn trug.
    Ich schaute selbst und sah ein Licht – es war schwächer als das ihre, aber stetig. Nun zog ich den Dorn hervor, dessen goldener Schein von Wand zu Wand leuchtete, bevor er erlosch. »Es ist die Klaue daraus geworden«, sagte ich. »So sah ich sie, als ich sie aus dem Fels zog.«
    Ich hielt sie ihr hin; aber ihr Blick galt der halb verheilten Wunde, die sie mir zugefügt hatte. »Sie ist durchdrungen von deinem Blut«, erklärte sie, »und dein Blut enthält lebende Zellen von dir. Ich bezweifle, daß sie machtlos gewesen ist. Und es wundert mich nicht, daß die Pelerinen sie verehrt haben.«
    Ich ging, tastete mich hinaus zum Strand, wo ich lange Zeit im Sand auf und ab schritt. Aber die Gedanken, die mich beschäftigten, wären hier fehl am Platze.
    Als ich zurückkehrte, wartete Apheta nach wie vor auf mich, deren pulsierender Silberglanz bedrängender denn je war. »Kannst du?« fragte sie, und ich sagte ihr, daß sie wunderschön sei.
    »Aber kannst du?« fragte sie abermals.
    »Wir müssen zuerst reden. Es wäre Verrat an meiner Art, würde ich keine Fragen stellen.«
    »Dann frag«, hauchte sie. »Aber sei gewarnt, daß nichts, was ich sage, deiner Rasse helfen wird bei der bevorstehenden Prüfung.«
    »Wie sprichst du? Was sind hier für Laute?«
    »Du mußt meiner Stimme lauschen«, riet sie mir, »und nicht meinen Worten. Was hörst du?«
    Also lauschte ich und hörte das seidene Rascheln der Decke, das Knistern unserer Leiber, das sanfte Rauschen der Wellen und das Schlagen meines Herzens. Hundert Fragen lagen mir auf der Zunge, und jede davon, so hatte ich das Gefühl, mochte die Neue Sonne hervorbringen. Bei der Berührung ihrer Lippen verschwand jede Frage und wurde aus meinem Bewußtsein verbannt, als hätte es sie nie gegeben. Ihre Hände, ihre Lippen, ihre Augen, die Brüste, die ich koste – wunderbar. Aber da war noch mehr, vielleicht der Duft ihres Haares. Ich glaubte, eine endlose Nacht zu atmen …
    Auf dem Rücken liegend, drang ich in Yesod ein. Oder, besser gesagt, Yesod umfing mich. Erst jetzt erkannte ich, daß ich hier noch nicht gewesen war. Milliardenfach strömten Sterne von mir, Fontänen und Sonnen, so daß ich in dem Moment zu wissen glaubte, wie Universen geboren werden. Narreteien.
    Die Wirklichkeit holte sie ein, wie eine auflodernde Fackel die Schatten in die Ecken drängt und damit auch die geflügelten Feen der Phantasie. Es wurde etwas geboren zwischen Yesod und Brian, als ich mich auf dem Diwan im runden Zimmer mit Apheta vereinte, etwas Winziges und zugleich Großes, das wie eine Kohle brannte, die mit der Zange auf die Zunge gelegt wird. Dieses Etwas war ich.
    Ich schlief; und weil mein Schlaf traumlos war, wußte ich nicht, daß ich schlief.
    Als ich erwachte, war Apheta nicht mehr da. Die Sonne von Yesod schien durch das Luftloch im Zentrum der Spirale. Ihr Schein wurde, wenn auch schwach, durch die weißen Wände bis zu mir reflektiert, so daß ich im goldenen Dämmerlicht erwachte. Ich stand auf und kleidete mich an und überlegte, wo Apheta wäre; aber als ich in die Stiefel schlüpfte, kam sie mit einem Tablett herein. Es war mir peinlich, mich von so einer fremden Dame bedienen zu lassen, und ich machte kein Hehl daraus.
    »Du wirst auch bei Hofe von vornehmen Konkubinen bedient worden sein, Autarch.«
    »Was sind sie im Vergleich zu dir?«
    Sie hob die Schultern. »Ich bin keine große Frau. Oder jedenfalls nur für dich und nur heute. Bei uns wird der Status von der Nähe zu den Hierogrammaten bestimmt, und ich bin ihnen nicht sehr nahe.«
    Sie stellte das Tablett ab und setzte sich davor. Auf dem Tablett gab es kleines Gebäck, eine Karaffe mit kaltem Wasser und Tassen mit einer dampfenden Flüssigkeit, die wie Milch aussah, aber keine Milch war. »Daß du den Hierogrammaten nicht nahestehst, das klingt unglaublich, für mich, Frau.«
    »Das kommt lediglich daher, daß du dich und deine Urth für so wichtig hältst und dir einbildest, daß das, was ich sage und was wir hier tun, ihr Schicksal entscheiden wird. Dem ist nicht so, keineswegs. Was wir hier tun, wirkt sich in keinster Weise aus, und du und deine Welt seid hier niemandem wichtig.«
    Ich schwieg, um nicht zu unterbrechen. »Außer mir«, fügte sie schließlich hinzu und biß in ein Gebäckstück.
    »Danke, Frau.«
    »Und das nur, seitdem du hier bist. Obwohl ich dich und deine Urth nicht mag, bedeutet sie dir alles.«
    »Frau …«
    »Ich weiß, du

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